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Seestadt-Grau?

  • Sonntag, 12. November 2023 @ 07:00
Seestadt Aspern Zu Theorie und Praxis von Bürger_innen-Beteiligung

Leider hat es in Wien Tradition, für die Bürger_innen und nicht mit ihnen Entscheidungen zu treffen. Nicht einmal das Vorzeigeprojekt Seestadt ist da eine Ausnahme, dessen Masterplan offen auf nachbarschaftliches Engagement bei der Gestaltung der Lebenswelt setzt.

Auf die Grafik klicken, dann wird sie groß!


Zur Vorgeschichte

Vor nunmehr neun Jahren begann die Besiedelung des später „Pionierquartier“ genannten ersten Teils der Seestadt, südlich des Sees gelegen. Wahre Pionier_innen sind hier die Menschen des Vereins SeeStadtgrün, allen voran Katarina und Sabi Rimanóczy, die mit der Umsetzung ihrer Vision von einer grüneren Seestadt sehr zur Lebensqualität in diesem Viertel beitragen hat. Begonnen hat alles mit dem Projekt „Essbare Seestadt“, das kooperative Stadtbegrünung erforschte. Der Verein SeeStadtgrün fand sich zusammen, um die Maßnahmen schrittweise umzusetzen. So entstand bis 2022 u.a. die „Seestadt Lounge“ am Hannah-Arendt-Platz, eine begrünte Fläche mit Pergolen, einem Geräteschuppen und Sitzmöbeln. Im Sommer gießen die Menschen des Vereins täglich die Pflanzen mit E-lias, dem mit einem Wassertank ausgestatteten elektrischen Gießrad; in Kooperation mit Klassen der angrenzenden Schulen wurden Baumscheiben begrünt; angelehnt an das Konzept der Essbaren Stadt wurden Sträucher, Stauden, Gräser und Kletterpflanzen gepflanzt; eine gemeinsame Kompostanlage wurde errichtet u.v.a.m. Aber so einfach ist das alles nicht mit der Beteiligung der Bürger_innen. Diese will nämlich nicht nur propagiert, sondern auch gelernt sein.

Wem gehört der öffentliche Raum?

Um die „Seestadt Lounge“ realisieren zu können, musste der Verein im März 2021 ein Grundbenützungsübereinkommen mit der zuständigen MA 28 (Straßenverwaltung und Straßenbau) abschließen, wonach ihm 400 m² eines Streifens am Hannah-Arendt-Platz, der mit einer verdichteten Schotter- und Sandoberfläche bedeckt ist, zur Nutzung überlassen wurden. Vereinbart wurde auch, dass davon auf 91 m² Pergolen und ein Geräteschuppen, u.a. als Unterstand für das Gießrad, errichtet und die restliche Fläche begrünt wird. Der Verein verpflichtete sich, die überlassene Fläche zu erhalten, zu reinigen und winterlich zu betreuen. Die monatliche Nutzungsgebühr beträgt € 91, wird sie nicht spätestens acht Wochen nach Fälligkeit bezahlt, wird der Vertrag gekündigt und müssen die Nutzer_innen alle getätigten Veränderungen rückgängig machen. Sämtliche mit dem Zustandekommen des Vertrages verbundenen Kosten wie Abgaben und Gebühren hat der Verein zu tragen. Soviel zum Papierkram. Noch nicht erwähnt sind die Arbeitsstunden, die ehrenamtlich geleistet werden für Planung, Ankauf, Ausbringung und Pflege der Pflanzen, für die Herstellung und Wartung von Holzmöbeln und Gießrad.




Siegerprojekt bei Wien wird WOW wird gekübelt

Im Juni 2021 gewann SeeStadtgrün mit der Idee der Neugestaltung des Wangari-Maathai-Platzes direkt bei der U2-Station Seestadt aus 512 Einreichungen den ersten Platz bei Wien wird WOW in der Kategorie „Asphaltierte Flächen und Plätze“. Für den nach der Initiatorin der afrikanischen Grüngürtelbewegung benannten Platz war ursprünglich nur ein einziger Baum inmitten einer Asphaltwüste vorgesehen gewesen. Pflanztrog-Bank-Module aus Holz sollten rund um das den Platz dominierende Stein-Kunstwerk, das die ehemalige Asperner Flugfeld-Landebahn symbolisiert, ringförmig angeordnet und mit schnellwachsendem Hopfen berankt werden, der nicht nur Schatten spenden, sondern auch zu einem Seestädter Craft-Beer verarbeitet werden sollte. Bei Wien wird WOW handelt es sich um „eine Initiative der Stadt Wien, mit der die Stadtplanung zu den Bürgerinnen und Bürgern kommt – dorthin, wo neue Stadt entsteht oder Veränderungen stattfinden. Information und Bürger*innenbeteiligung sind wichtige Aufgaben der Stadt“, heißt es auf der Homepage. In Absprache mit der Stadt und der Wien 3420 Aspern Stadtteilentwicklungsgesellschaft wurde das Projekt „adaptiert“ letztlich jedoch die Asphaltflächen des Wangari-Maathai-Platzes von der Stadt in Eigeninitiative begrünt. Vom ursprünglichen Siegerprojekt wurde nichts umgesetzt, Gewinnerkonzept hin oder her.

Förderantrag abgelehnt

Im März 2022 beantragte der Verein bei der Stadt Wien eine Förderung in der Höhe von € 7.500. Mit dieser sollten bezahlt werden: das in Rechnung gestellte Benutzungsentgelt (€ 1.100), Gutscheine von Seestädter Unternehmen für die Betreuer_innen der Grünflächen (€ 4.600), die Wartung von Holzmöbeln, Pergolen und Gießrad (€ 1.000) und die Durchführung von Veranstaltungen wie einem Eröffnungsfest oder Aktionstagen (€ 800). Begründet wurde das Förderansuchen damit, dass die begrünten Flächen als Aufenthalts- und Aneignungszonen der Bewohner_innen zu deren Nutzung vorgesehen sind. Für die Stadt Wien würden sogar Kostenvorteile entstehen, da die Bewohner_innen selbst die Pflege der begrünten Fläche übernehmen. Die Aufenthaltsqualität stiege, die Nachbarschaft würde gestärkt. Darüber hinaus sei das Projekt ein Beitrag zur Vermeidung von Hitzeinseln im urbanen Umfeld und sorge für pflanzliche und tierische Vielfalt. Die geplanten Veranstaltungen wiederum förderten die soziale Verbundenheit der Bewohner_innen. Es folgte eine lapidare Ablehnung zwei Monate später.

Die Vertreter_innen von Stadt und Bezirk feiern sich

Im Februar 2023 kündigten Stadträtin Sima und Bezirksvorsteher Nevrivy mit großem Trara eine zweite Runde Begrünungsoffensive im Seeparkquartier an. Dem vorausgegangen war der von den Bewohner_innen vorgebrachte Wunsch nach Begrünung der beinahe zur Gänze zubetonierten Fußgängerzone dieses Teils der Seestadt. Der Verein hatte darum ersucht, als Impulsgeber aus der Bewohner_innenperspektive mitarbeiten zu können, was schlichtweg abgelehnt wurde – sie sollten nicht die Arbeit der Stadt machen, wurde ihnen beschieden. Bezirksvorsteher und Umweltstadträtin wollten alleine die Lorbeeren für 1.100 m² nachbegrünte Flächen im Seeparkviertel ernten, mit denen sie nun ihrerseits die Lebensqualität steigerten und Hitzeinseln entschärften. Fast zeitgleich flatterte bei SeeStadtgrün ein Schreiben der MA 28 ins Haus, in dem die Bezahlung der ausständigen Nutzungsgebühr von € 1.007 eingemahnt wurde. In einem Schreiben an Stadträtin Sima kommt der Verein zu dem Schluss, dass die Kooperation zwischen der Stadt und ihren Bewohner_innen, wie im Wien wird WOW-Konzept propagiert, als gescheitert angesehen werden müsse. Der Ideenwettbewerb sei, so SeeStadtgrün, in erster Linie ein PR-Gag der Stadt und kein echter Aufruf zur Partizipation, weshalb ihnen nichts anderes übrigbleibe als ihre Strategie zu ändern in Richtung „Schreien nach Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit“. Konkret forderten sie erneut die Stornierung der an sie gerichteten Rechnung und ein Unterlassen der Einhebung weiterer Nutzungsgebühren für Flächen, die Bürger_innen begrünen und pflegen; die versprochene Würdigung der Arbeit des Vereins durch die Wien 3420 Aspern Stadtteilentwicklungs-GmbH auf allen dieser zur Verfügung stehenden Kanälen; die Förderung des Vereins bei Begrünung und Pflege weiterer Staubflächen im Pionierquartier und beim Pflanzen weiterer Bäume im Hannah-Arendt-Park. Es folgte: keine Antwort.

Do-It-together-Stadt – ein neuer PR-Gag?

Im Mai 2023 wandte sich der Verein mit der Bitte um Gebührenerlassung erneut an die MA 28. Gerade hatte die Stadt Wien das Handbuch zur Do It together-Stadt vorgestellt. Darin werden Menschen aufgefordert, das eigene Wohnumfeld in Kooperation mit der Stadtverwaltung zu verschönern und damit zu einer lebendigen Nachbarschaft beizutragen – genau das, was der Verein SeeStadtgrün getan hatte, sollte man meinen. In seinem Schreiben erläuterte der Verein, dass die von ihm bepflanzte und betreute Fläche am Hannah-Arendt-Platz öffentlich zugänglich sei und allen Bewohner_innen der Seestadt rund um die Uhr zur Verfügung stehe. Auch das gleich nebenan liegende Stadtteilmanagement nütze das begrünte Areal für Straßenfeste, das wöchentliche Nachbarschaftsfrühstück, die Tauschbörse. Die Besucher_innen dieser Veranstaltungen flüchten an heißen Tagen regelrecht unter die schattenspendenden Pergolen. Es ginge bei der Seestadt-Lounge nicht um eine kommerzielle oder exklusive Nutzung der Fläche, sondern um ehrenamtliche Arbeit der Natur, den Kindern und der Seestadt zuliebe.

Sollte die Stadt nicht einlenken, könne man die Verlängerung der Nutzungsvereinbarung nicht mehr unterschreiben und müsse die Fläche in ihrem ursprünglichen Zustand wiederherstellen. Die MA 28 lehnte jedoch die Gebührenerlassung neuerlich ab. Der Verein suchte daraufhin um Audienz beim Büro Sima an, wurde jedoch bis jetzt nicht vorgelassen. Stattdessen kam ein Termin bei der MA 28 zustande. Diese reduzierte die Nutzungsgebühr für die öffentliche Fläche am Hannah-Arendt-Platz um die Hälfte, was angesichts des ehrenamtlichen Engagements noch immer inakzeptabel ist.

Die Petition „Mehr Natur in die Seestadt“

Mitentscheidend für dieses „Entgegenkommen“ war vielleicht die von SeeStadtgrün initiierte Petition, die inzwischen von mehreren Tausend Menschen unterstützt wird. Sie liegt in allen Geschäften der Seestadt auf, wird auf Plakaten beworben und kann elektronisch mit Handy-Signatur unterzeichnet werden. Zeichnungsberechtigt sind alle in Wien hauptgemeldeten Personen mit österreichischer und EU-Staatsbürgerschaft.

In der Petition geht es im Wesentlichen darum, dass die im Plan für das Pionierquartier (siehe Bild am Beginn des Beitrages) als „Straßenbegleitgrün“ ausgewiesenen Schotter-Flächen auch tatsächlich begrünt werden. Denn selbst Pionier_innen wollen nicht auf ewig im staubigen Schotter leben… Die Stadt möge daher die als Grünflächen gewidmeten, aber als „Grauflächen“ gestalteten 8.000 m² des Pionierquartiers tatsächlich mit Wiesen, Blumen, Sträuchern, Stauden, Gräsern und mit Sitzecken ausgestalten. Der aktuell vorhandene Schotterbelag mag zwar für Wege oder Straßen geeignet sein, aber auf ihm wachsen keine Pflanzen, die Flächen heizen sich vielmehr im Sommer stark auf, erhöhen die Feinstaubbelastung und verhindern das Versickern von Regenwasser, was zur Beeinträchtigung auch des Wachstums der Bäume auf diesen Flächen führt.

Mit einem Wort: Die Bewohner_innen wünschen sich eine lebenswerte und schönere Seestadt!

Sehr sehenswert ist auch der Film „Die grauen Grünflächen der Seestadt“ , der das Anliegen der Petition anschaulich vor Augen führt.

Wir ersuchen alle Leser_innen des Kaktus, die Petition „Mehr Natur in die Seestadt“ zu unterschreiben!

Zum Unterzeichnen der Petition - Hier klicken!



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