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Eine Nachschau zum Aktionstag für eine Verkehrswende am 19.6.2020

  • Montag, 22. Juni 2020 @ 08:59
Gedanken aus Donaustädter Sicht
von Hilde Grammel – Bewohnerin der Seestadt

Am 19. 6. 2020 haben in ganz Österreich Menschen für eine Verkehrswende demonstriert. Das Bürger*innen-Netzwerk Wien Niederösterreich Nord-Ost, die BI Hirschstetten retten und die BI Rettet die Lobau u.a. hatten für diesen Tag zu einer Fahrraddemo aufgerufen, die von der Seestadt aus startete [Bild rechts] und über das Verkehrsministerium und den Ballhausplatz zum Rathaus führte. Zuvor noch gab es eine Kundgebung bei der U2-Station Hausfeldstraße, die die Wiedereröffnung der dortigen Schnellbahnstation forderte. Aktivist*innen von KPÖ, Wien ANDAS und LINKS waren an der Vorbereitung und Organisation der Fahrraddemo beteiligt. Die Hauptforderung war: Keine Umsetzung der Bauvorhaben S1-Spange und Stadtstraße einerseits, Lobau-Autobahn andererseits.

Von den wahren Kosten

An der Fahrraddemo zu den Amtssitzen der politisch Verantwortlichen nahmen an die 80 Personen teil. Es war eine lustvolle Fahrt, die wir an diesem Tag unternahmen, jedoch hörten wir auch kritische Stimmen vom Straßenrand. Da die Demonstration unter Polizeischutz erfolgte, meinten einige Passant*innen, dass dies zu viel Steuergeld koste.

Ihnen will ich sagen: Die Umsetzung der Autobahnbauten in der Donaustadt wird ein Vielfaches dieses Mini-Polizeieinsatzes kosten! Alleine die Lobau-Autobahn inklusive Tunnel verursacht Kosten von € 4 Mrd. Aber das ist nicht alles: Österreich muss bis zu € 10 Mrd. an Schadenszahlungen für nicht erreichte Klimaziele leisten.

Die folgende Grafik veranschaulicht die in den nächsten Jahrzehnten zu erreichende Reduktion der CO2-Emissionen, sollen uns die Zahlungen für Emissionszertifikate erspart bleiben:

Das Ziel der Verringerung des CO2-Ausstoßes rückt angesichts des fehlenden Willens zum Umdenken in der Verkehrspolitik in immer weitere Ferne. Laut Greenpeace sind seit 1990 die CO2-Emissionen im Verkehrsbereich in Österreich um 70% gestiegen statt zurückgegangen. Verantwortlich dafür sind: der zunehmende motorisierte Individualverkehr, die steuerliche Begünstigung des Flugverkehrs (Kerosin wird bisher nicht besteuert) und fehlende öffentliche Verkehrsmittel. Was den ersten und den letzten Punkt betrifft, wären insbesondere Bezirk und Gemeinde gefordert. Während Teile der Donaustadt unter der laufenden Verdichtung des Flugverkehrs leiden – manchmal fliegen die Flugzeuge im Minutentakt über unsere Köpfe hinweg –, bestehen die politisch Verantwortlichen auf den Ausbau der Autobahnen einerseits mitten durch den Bezirk, andererseits an der Grenze zu Großenzersdorf. Nicht nur wird dadurch der internationale Schwerverkehr angezogen, sondern auch wird die Donaustadt zu einer Transitschneise für viele, die in den Wiener Innenbezirken ihren Arbeitsplatz haben. Stattdessen fordern wir Park & Ride-Anlagen bei den U-Bahn-Stationen am Stadtrand und die Abstufung von S1-Spange und Stadtstraße von einer vierspurigen Autobahn zu einer zweispurigen Bundesstraße. Ebenso muss der öffentliche Verkehr ausgebaut werden (siehe unten).

Die Seestadt als Begründung für Stadtstraße und S1-Spange

Die Stadtverwaltung argumentiert, dass ihr Vorzeigeprojekt Seestadt nicht – wie geplant – realisiert werden kann, sollten S1-Spange und Stadtstraße nicht gebaut werden. Abgesehen davon, dass dieses Argument kein sehr glückliches ist, weil es die Bewohner*innen der übrigen Donaustadt gegen jene der Seestadt aufbringt, da die Existenz letzterer für sie nur negative Konsequenzen wie Verkehrslärm und Luftverpestung nach sich zieht, wirft es auch andere Fragen auf. Einzelne Unternehmen, die vorhaben, sich in der Seestadt anzusiedeln (z.B. das Transportunternehmen Dr. Richard mit dem gesamten Fuhrpark), würden dies vom Bau der Autobahnen abhängig machen. Das heißt, Betriebsansiedelungen in der Seestadt (und Investorengelder) würden möglicherweise ausbleiben. Leider ist für einfache Bürger*innen nicht in Erfahrung zu bringen, welche anderen Betriebe die 3420-Stadtteilentwicklungsgesellschaft noch „an der Angel“ hat und mit den Autobahnverbindungen anlocken möchte. Dabei ist ja das Konzept, Arbeitsplätze in Wohnraumnähe zu schaffen, durchaus als positiv zu bewerten. Die Frage – und damit die Aufgabe der 3420-Stadtteilentwicklungsgesellschaft – müsste aber lauten: Welche ökologisch verträglichen und nachhaltigen Arbeitsplätze könnten geschaffen werden, in Bereichen, die nicht auf den Autobahnausbau bestehen bzw. die Straßenverbindung in die Stadt benötigen?

Von den Grünen im Stich gelassen

Die Grünen scheinen ebenfalls ihre umweltpolitischen Kompetenzen aus dem 22. Bezirk abgezogen zu haben. Lieber macht man „die City autofrei" , begrünt einzelne Straßenzüge im Stadtzentrum und versucht, sich mit „Pop-up-Radwegen"zu profilieren – was ja allesamt löbliche Vorhaben sein mögen. Nur warten währenddessen die Menschen in der Donaustadt vergeblich darauf, dass Klimapolitik auch hier eine Rolle spielt, (Ultra-)Feinstaubbelastung und CO2-Emissionen eingedämmt und der Plan der Zerstörung des Lobau-Naturschutzgebietes gestoppt wird. Dafür gibt es weder im Rathaus noch in der Bezirksvertretung eine starke Stimme, sodass wir feststellen müssen: Die ökologischen Anliegen der Bewohner*innen der Donaustadt sind der rosarot-grünen Koalitionsräson zum Opfer gefallen.

Was es bräuchte

Im Juli 2019 erschien die von der AK Wien in Auftrag gegebene Studie„Stadtpunkte 29. Öffentlicher Verkehr in den Wiener Außenbezirken“ (online abrufbar), die sich prominent auch mit der Donaustadt befasst. Aufgrund der sehr langen Vorlaufzeiten für Investitionen in den öffentlichen Verkehr, die sich aus Systemauswahl, Trassenstudien, Ausschreibe- und Vergabeverfahren ergeben, wären die notwendigen Entscheidungen „heute und nicht erst morgen" zu treffen, meinen die Studienautoren. Die am Stadtrand gelegenen Bezirke können nicht damit abgetan werden, dass sie weniger dicht besiedelt sind als die Innenstadtbezirke, wenn es um die Notwendigkeit des Öffi-Ausbaus und die Deckung des Mobilitätsbedarfs der Bevölkerung geht, was durch den Umstand des stetigen Bevölkerungswachstums des 22. Bezirks noch verschärft wird.

Daher schlagen sie folgende unmittelbar einzuleitende Maßnahmen vor:

*die Eröffnung einer Autobuslinie, gegebenenfalls als Schnellbus mit wenigen Haltestellen, zwischen Simmering und Floridsdorf (über die A23 – Donaustadtstraße – Kagran bis KH Nord)

*eine Autobuslinie, gegebenenfalls als Schnellbus mit wenigen Haltestellen, zwischen Simmering und Aspern (über Hafen Wien – neue Donauquerung – Aspern), mit Verlängerungsoption nach Kagran bzw. Floridsdorf. (Anm. der Verf.: Die hier genannte „neue Donauquerung“ meint allerdings die Lobau-Autobahn, weshalb dieser Vorschlag abzulehnen ist).

*eine Autobus- oder Straßenbahnlinie 27 zwischen Floridsdorf und Groß Enzersdorf (ab Jedlersdorf S-Bahn über Kagran – Quadenstraßenviertel – Seestadt – Groß Enzersdorf), Verlängerung dieser Straßenbahnlinie 27 bis Niederösterreich.

*Reaktivierung der Schnellbahn zwischen Erzherzog Karl-Straße und Leopoldau.

*die Wiedereröffnung der Schnellbahnstationen Hausfeldstraße und Lobau.

Als im Rahmen des Öffi-Pakets der Stadt Wien bereits geplante Verbindungen werden angeführt:

*Verlängerung der Straßenbahn 25 an einem Ende von Aspern durch die Seestadt nach Aspern Nord (geplant ab 2022)

*Verlängerung der Straßenbahn 25 am anderen Ede von Kagran über Donaufeld nach Floridsdorf (geplant ab 2025)

Nur teilweise zum Tragen kommt in den Überlegungen der Studienautoren die Wiederbelebung der stillgelegten Schnellbahnlinien, die das Konzept des „Wiener Schmetterlings“ von Max Kössldorfer vorsieht (der Kaktus berichtete).

Bezüglich der Dichte der Autobuslinien in den Stadtrandgebieten konstatieren die Studienautoren, dass „im Vergleich zu 17 Haltestellen pro km2 in den Innenstadtbezirken die Außenbezirke nur 7 Haltestellen pro km2" aufweisen. Zudem kritisieren sie die stark verschlungene Linienführung dieser Linien und die daraus resultierende lange Fahrzeit, weshalb sie von Berufspendler*innen nicht genutzt werden. Die dahinter liegende Idee, möglichst viele Adressen zu erschließen, ist zwar gut gemeint, aber nicht praktikabel für ein schnelles Weiterkommen innerhalb des Bezirkes. Dazu kommen die langen Intervalle, besonders nach den Früh- und Abendspitzen.

Insgesamt bietet die Studie viele interessante Überlegungen für verkehrspolitisch Interessierte, die hier nicht alle wiedergegeben werden können.