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Bildung statt Rüstung

  • Samstag, 6. April 2024 @ 06:02
Schulprobleme Momentan herrscht große Aufregung an der Mittelschule Kagran in der Afritschgasse 56.

Eltern, Lehrer_innen, Schüler_innen, der Direktor und Anrainer_innen demonstrieren, sammeln Unterschriften, malen und befestigen Transparente am Schulzaun und schalten die Medien ein. Was ist passiert?



Die Schule, u.a. mit Schwerpunkt Sport, soll ab nächstem Schuljahr Container-Klassen auf ihrem Sportplatz aufgestellt bekommen, die diesen für die Schüler_innen und die Kinder und Jugendlichen der Nachbarschaft unbenutzbar machen, zumindest zum Teil. Ein ähnliches Schicksal ereilt – nach heutigem Stand – vier weitere Schulstandorte in Wien, allesamt Volksschulen: die GTVS/OVS Ada-Christen-Gasse in 1100, die VS Hoefftgasse in 1110, die GTVS Rittingergasse in 1210 und die OVS Akaziengasse in 1230. Ob die vorgesehenen neun Container pro Schule reichen, wird sich im Herbst zeigen. Sie sollen jedenfalls 1.225 Schüler_innen den Schulbesuch in ihren Wohnbezirken ermöglichen und ehestmöglich durch Zubauten ersetzt werden.

So weit die nüchternen Fakten und eigentlich nicht weiter aufregend. Weniger sachlich wird es, wenn offenkundig wird, dass es sich bei den Kindern und Jugendlichen hauptsächlich um syrische, afghanische und somalische handelt, die aufgrund von Familienzusammenführungen plötzlich in Österreich beschult und für die Platz gemacht werden soll.

Die Hetzerrolle der FPÖ

Da tritt dann die FPÖ auf den Plan und gießt Öl ins Feuer, indem sie die Notlage in eine Debatte über Zuwanderung umfunktioniert. Denn optimal ist die Situation für niemanden. Während aber die Schulbehörden auf allen Ebenen um konstruktive Lösungen bemüht sind, hat die FPÖ selber keine einzige parat, außer in einem Rundumschlag allen mit der Sache Befassten Unfähigkeit und ‚Drüberfahren‘ über die Interessen der ansässigen Bevölkerung vorzuwerfen. Die Container-Klassen gefährdeten die „Sicherheit von 350 Schülern, 40 Lehrern und 1.500 Anrainern“ (Frauen gibt es bei der FPÖ ohnehin keine), hetzt sie und legt damit nahe, dass grundsätzlich nicht aus Österreich stammende Schüler_innen gemeingefährlich seien, schon jetzt gäbe es Probleme mit Drogendealern und Jugendbanden.

Und die ÖVP assistiert:

Nicht nur beraube man die Schüler_innen ihrer Freiräume und Sportplätze, die Container-Klassen verschärften „die aktuellen Problemlagen an Wiens Schulen. Der Platz wird weniger und enger, die Aggressionen und Gewaltbereitschaft mehr und heftiger“, so Harald Zierfuß, Bildungssprecher der ÖVP im Wiener Gemeinderat, in einer Presseaussendung. Aber wenigstens einen Alternativvorschlag hat die ÖVP bereit, nämlich, dass die zusätzlichen Schüler_innen auf andere Schulstandorte aufgeteilt werden sollen. Das Resultat der aufgeheizten Stimmung sind dann Aussagen wie jene eines Elternvertreters der Schule Afritschgasse: „Wir werden die Container-Klassen verhindern, koste es, was es wolle“, tönt es von dieser Seite.

Der Kaktus hat beim Direktor der Schule, bei der Bildungsdirektion, der MA 56 – Wiener Schulen, beim Bezirksvorsteher und beim Bildungsstadtrat nachgefragt und um ihre Sicht der Dinge gebeten. Bis heute liegen nur Stellungnahmen von Bildungsdirektion und MA 56 vor, weshalb für diesen Beitrag nur diese berücksichtigt werden können. Weiters in die Recherche miteinbezogen wurden Artikel in der Bezirkszeitung, im Falter, im profil, im Standard und OTS-Aussendungen von FPÖ und ÖVP. Daraus ergibt sich ein weitaus differenzierteres Bild als der erste Eindruck nahelegt.

Das Gespräch suchen

Das Büro von Bildungsstadtrat Christoph Wiederkehr (Neos) kalmiert und betont, dass die Nutzungsmöglichkeiten für Schulkinder auf den Freiflächen nur minimal eingeschränkt würden und die Mehrzweckbereiche wie der Hartplatz und der Spielplatzbereich weiterhin in vollem Umfang genutzt werden könnten. Priorität hätte die Versorgung aller Schüler_innen mit dem altersgemäßen Bildungsangebot.

Der Direktor der MS Afritschgasse seinerseits beklagt, dass mit der Schule überhaupt nicht gesprochen worden wäre, sie erst durch die Medien überhaupt informiert wurde. Seiner Meinung nach hätten die 225 Schüler_innen aus der Donaustadt, um die es geht, auf umliegende Schulen aufgeteilt werden können. Das Büro des Bildungsstadtrats wiederum kontert, dass mit den Mobilklassen die Zahl der Schüler_innen in allen Klassen in Wien nachhaltig konstant bleiben würde. Würden nämlich die neuen Schüler_innen auf andere Schulen aufgeteilt, seien Klassenschülerzahlen von bis zu 30 zu erwarten (aktuell liegt die Klassenschülerhöchstzahl in Wien bei 25), so Wiederkehr. Er bestreitet auch, dass die betreffenden Schulen von den Plänen nicht in Kenntnis gesetzt worden wären. Die Schulleitungen seien bereits „am 12. Februar über die Prüfung der Aufstellung von Mobilklassen informiert” worden, heißt es aus seinem Büro. Am 7. März habe Wiederkehr den Direktionen dann mitgeteilt, dass die Container fix kommen. Man wolle auch „in den nächsten Wochen intensiv mit den Schulleitungen zusammenarbeiten und die Eltern selbstverständlich über die weiteren Schritte am Laufenden halten”. Dies wäre dringend in Angriff zu nehmen, besser heute als morgen, denn die Anliegen der Betroffenen sind ernst zu nehmen. Es gälte herauszufinden, wo ihre Sorgen und Ängste tatsächlich liegen. Am besten, die Verantwortlichen suchen das Gespräch mit Lehrer_innen und Eltern, gegebenenfalls gemeinsam mit Mediator_innen, damit die Situation nicht noch mehr eskaliert. Vielleicht könnte man der Schule auch anbieten, die Container um ein Stockwerk in die Höhe aufzustocken, damit weniger Fläche verstellt wird, denn darum geht es ja eigentlich, oder?

Mangelnde Kooperation zwischen Bund und Land

Die MA 56 – Wien Schulen kritisiert, dass vonseiten des Bundes die Anzahl von schulpflichtigen Kindern und Jugendlichen, die nach Wien gekommen sind und in Zukunft kommen werden, nicht weitergeleitet wird. Obwohl in den vergangenen zehn Jahren seitens der MA 56 rund 1.200 Klassen für den Pflichtschulbereich geschaffen wurden, hätten „Entscheidungen auf Bundesebene, gemeinsam mit Krisen- und Kriegsereignissen (Flüchtlingskrise in den Jahren 2015 und 2016, Einführung der Deutschförderklassen, der Ukraine-Krieg) dazu geführt, dass die schulische Infrastruktur der Stadt aktuell nicht mehr in der Lage ist, zusätzliche erhöhte Bedarfssituationen abzufangen.“ Zudem wirke sich die Entscheidung des Bundes, dass Kinder bei „unzureichender“ Bewertung nicht mehr aufsteigen können, auf die verlängerte Verweildauer insbesondere von außerordentlichen Schüler_innen im Pflichtschulsystem aus. Auch die MA 56 betont, dass die Mobilklassen, die in einem geschlossenen Verbund von maximal neun Klassenräumen, WC-Anlagen, Garderoben und einem Teamraum errichtet werden, sicherstellen sollen, dass die Größen bestehender Klassen so niedrig wie möglich gehalten werden können.

Mehrsprachigkeit an Schulen

Worum es neben dem Platzmangel aber auch geht, ist die Betreuungssituation. Denn die Schüler_innen in den Containerklassen wollen schließlich unterrichtet werden. Dafür soll zusätzliches Personal eingestellt werden. Die Bildungsdirektion präzisiert in ihrem Schreiben: „Mobile Teams werden zusätzlich unterstützen, diese können je nach Bedarf zusammengesetzt sein (eine Person aus dem DaF/DaZ Bereich, Schulsozialarbeiter/innen, eine Person Erstsprache, weitere Personen nach Bedarf) – diese Teams werden mehrere Tage an den Standorten sein und bei Elternkommunikation und ähnlichem unterstützen. … es wird kein Schulraum geschaffen, für den aus heutiger Sicht kein Personal zur Verfügung stehen würde.“ Das klingt schon mal nicht schlecht, aber leider ist nirgendwo die Rede von Pädagog_innen, die auch die Sprachen der Kinder und Jugendlichen sprechen und zusammen mit deutschsprachigen Lehrer_innen im Team-Teaching unterrichten. Das wären nämlich stationäre und für die Kinder und Jugendlichen konstant verfügbare Teams. Solche könnten einen wesentlichen Beitrag dazu leisten, die betreffenden Schüler_innen möglichst bald ins Regelschulsystem überführen zu können. Dass die separaten Deutsch-Förderklassen dafür nicht das geeignete Mittel sind, ist mittlerweile bekannt, weil mit diesem Format das Lernen der Kinder voneinander unterbunden wird. Mit mehrsprachigem Lehrpersonal könnte auch die Anzahl der Schüler_innen, die aufgrund schlechter Deutschkenntnisse ein, zwei Klassen wiederholen müssen und älter sind als ihre Mitschüler_innen, reduziert werden. Und vielleicht würde es auch helfen, eine offensive Suche nach männlichem Lehrpersonal zu starten, damit nicht die Nerven der Kolleginnen durch machomäßiges Schülerverhalten dauernd strapaziert werden – nur damit keine Missverständnisse entstehen: dieses legen bei weitem nicht nur Schüler mit „Migrationshintergrund“ an den Tag – und sie wieder Freude an ihrem Beruf haben können. Zeit, sich wieder aus den Aufregungen des schulorganisatorischen Alltags hinauszubegeben. Mit einem Blick aus der Distanz lässt sich sagen: Worauf es ankäme wäre, das Schulsystem so zu gestalten, dass es möglichst wenige Drop-outs produziert, sondern junge Menschen ins Leben entlässt, die sich von der Gesellschaft angenommen fühlen und ihren Platz darin einnehmen wollen; Menschen, die gemeinsam und nicht gegeneinander ihre Lebenswelt gestalten wollen.

Und um den Kreis zu schließen zur entbehrlichen Zuwanderungsdebatte: Wer, wie die österreichische Bundesregierung, drei Milliarden Euro für „Sky Shield“ auszugeben gedenkt, der braucht sich nicht wundern, dass Menschen hierher kommen, deren Lebensgrundlagen mit diesen und ähnlichen Waffen zerstört wurden. Um wieviel sinnvoller wäre es da, dieses Geld in Bildung zu stecken, in gut ausgebildetes Personal und in die nötige Infrastruktur. Und, allem voran, in Friedenserziehung.

Hilde Grammel