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Wiener Schrebergärten: Sozialprojekte oder Spekulationsobjekte?

  • Dienstag, 3. Oktober 2023 @ 16:29
Oder: Wie Sozialist:innen den Sozialismus bekämpfen.

Der KGV (Kleingartenverein) Breitenlee, mit vollem Namen „Kleingartensiedlung Sport- und Erholungszentrum Breitenlee“ von Obmann Klein macht Schlagzeilen. Es geht um Ungereimtheiten im Zusammenhang mit Grundstückskäufen von SPÖ-Funktionär:innen, allen voran Bezirksvorsteher Ernst Nevrivy. Der Verdacht auf Bereicherung verdichtet sich. Die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) hat gegenüber dem ORF bestätigt, dass in der Sache bereits eine Anzeige vorliegt. In dem Bericht „Der rote Schrebergarten-Cluster“ der Wiener Zeitung vom 22.09.2023 werden detailliert die Umstände aufgezeigt, die zum SPÖ-Schrebergartenskandal führten.

Nein, Breitenlee liegt nicht plötzlich am Suezkanal. Die Abkürzung SUEZ bedeutet Sport Und ErholungsZentrum.(Foto Copyright: misch)

„Das kleine Glück im Schrebergarten“ betitelte Elisabeth T. Spira 1992 eine ihrer Alltagsgeschichten. Sie zeigt ein sehr stimmungsvolles Bild einer Idylle der kleinen Frau und des kleinen Mannes, die mit großem Eifer ihr eigenes Obst und Gemüse anbauen. Dort, wo der perfekte Rasen eine stabile Währung darstellt, mit der man sich Respekt und Bewunderung verschafft. 30 Jahre später scheint eine neue Ära angebrochen zu sein. Das kleine Glück für viele verwandelt sich in ein großes Glück für wenige. In diesem Fall auch für SPÖ-Funktionäre. Schrebergärten haben in Wien eine lange Tradition. Der erste Wiener Kleingarten wurde im Rosengarten gegründet, 1911 wurden dort die ersten Parzellen vergeben. Die Nachfrage blieb bis zum heutigen Tag ungebrochen, das für jeden leistbare kleine Stück Grün ist tatsächlich ein „Evergreen“. Wien weist fast 36.000 Kleingärten mit insgesamt 14 Millionen Quadratmetern Fläche auf. 2.000 Fußballfelder könnten darin untergebracht werden.

Der Grundgedanke der Kleingärten war es Soziotope, also Lebensräume einer Gruppe bzw. einen Lebensraum, der die Entwicklung einer Gruppe besonders fördert, zu bilden. In Soziotopen entsteht ein enger Zusammenhalt zwischen der Gemeinschaft und dem von ihr bewohnten Raum. Selbst auf den Philippinen sind seit 2003 mehrere Kleingartenanlagen für städtische Arme entstanden.

Schrebergärten haben eine wichtige soziale Funktion. Sie sollen der Allgemeinheit, im Besonderen auch Familien, Menschen mit Behinderungen, Immigrant:innen, Senior:innen, Kindern und Jugendlichen, Berufstätigen oder Arbeitslosen einen sozialen Lebensraum bieten, der leistbar und mit einer entsprechenden Infrastruktur ausgestattet ist. Wo auch soziale Randgruppen einen Ort der Gemeinschaft, des Austausches und der gegenseitigen Unterstützung finden.

Leistbar muss er auf jeden Fall sein. Die Grundstücke werden gepachtet, und mit überschaubaren Kosten von in etwa 1,30 bis 3,50 Euro pro Quadratmeter und Jahr ist es möglich, auch den finanziell benachteiligten Mitgliedern der Gesellschaft ein attraktives Umfeld zu bieten. Noch sozialer geht es eigentlich kaum.

Nun können seit 1993 die Parzellen von den Pächter:innen käuflich erworben werden. Im Normalfall unter der Bedingung, weiterhin dem Kleingartengesetz zu entsprechen. Dieses sieht unter anderem vor, dass ein Drittel des Grundstücks für den Anbau von Obst und Gemüse für den Eigenbedarf genutzt werden muss. Wir reden hier also nicht von vollwertigen Baugründen, sondern von Grünflächen, die einer Vielzahl von Nutzungsbedingungen unterworfen sind. Im Normalfall.

Jetzt kommt die große Ausnahme, das Zauberwort dabei heißt „Umwidmung“.

Was ist passiert?

SPÖ Bezirksvorsteher Ernst Nevrivy hat sich mit dem Kauf eines Grundstücks im Jahr 2020 in eine sehr heikle Lage manövriert. Er erwarb am 30. Juli 2020 im Kleingartenverein Breitenlee einen malerischen, 385 Quadratmeter großen Schrebergarten am Rande eines Schotterteichs für 161.700 Euro, das entspricht einem Preis von 420 Euro pro Quadratmeter. Im November 2021, also nur 16 Monate später, beschloss der Gemeinderat eine Umwidmung in vollwertige Baugründe und verdoppelte damit den Wert. Nach knapp über einem Jahr vermehrte sich also Nevrivys Vermögen so ganz nebenbei um rund 160.000 Euro. Mit ihm profitierten auch drei seiner Breitenleer Nachbarinnen, alle hochrangige SPÖ-Politikerinnen, von der Umwidmung. Eine Wiener Landtagsabgeordnete und Gemeinderätin, eine stellvertretende Bezirksvorsteherin und eine Nationalratsabgeordnete, die sich kurz vor der Umwidmung ein Grundstück gesichert hatten. Eine hat ihr vergoldetes Grundstück bereits versilbert. Zwei Kaufverträge wurden sogar am selben Tag erstellt. Alles Zufall? Der gesunde Menschenverstand lässt daran erhebliche Zweifel aufkommen.

Was macht den Unterschied aus? Im Kleingartengesetz von 1996 ist festgelegt, dass das Ausmaß der bebauten Fläche gemäß Bauordnung für Wien im „Grünland - Erholungsgebiet - Kleingartengebiet“ nicht mehr als 35 m2, im „Grünland - Erholungsgebiet - Kleingartengebiet für ganzjähriges Wohnen“ nicht mehr als 50 m2 betragen darf. Die bebaute Fläche darf insgesamt 25 Prozent der Fläche des Kleingartens nicht überschreiten. Es finden sich in dem Gesetz weitere umfangreiche, sehr detaillierte Vorschriften für die Nutzung eines Kleingartens. Vom Äußeren eines Gebäudes bis hin zur Bedingung, dass mindestens zwei Drittel des Kleingartens gärtnerisch ausgestaltet sein müssen.

Ob Besitzer oder Besuch. Ein Bentley Cabriolet ist in der Nähe von Schrebergärten – jetzt natürlich Bauland - eher selten zu finden. Er parkt übrigens gut versteckt auf der Schotterstraße, über die er mit diversen tiefen Schlaglöchern navigieren muss. Dafür gibt es sicher einen wichtigen Grund. Meinen Bentley würde ich das nicht zumuten. (Foto Copyright: misch)

Durch die Umwidmung fällt vieles weg. Der besondere Anreiz ist, dass jetzt auf einer Fläche von bis zu 100m2 bebaut werden darf. Anstatt wenig geräumiger Kleingartenhäuser können jetzt schmucke Sommerresidenzen in guter Lage hingestellt werden. Und wer sich so ein Grundstück um über 300.000 Euro leisten kann, hat sicherlich auch das nötige Kleingeld für ein herzeigbares Dach über dem Kopf. Mit Stellplatz für das Auto, Strom, Kanalanschluss und Heizung. 

Hinzu kommt noch ein weiterer großer Vorteil für die Kleingartensiedlung. Vieles wurde illegal, vor allem zu groß bebaut, alleine 16 Abrissaufträge wurden von der zuständigen Magistratsstelle erteilt. Mit der Umwidmung konnten nachträglich Einzelgenehmigungen vergeben werden, abgerissen wurde also nichts. Es wäre interessant zu erfahren, wer hier aller davon profitiert hat. Gab es möglicherweise auch eine Einflussnahme? Obmann Klein zeigt sich mit der Entwicklung jedenfalls sehr zufrieden, denn so wurde gleichzeitig ein großes Problem des Vereins gelöst. Der Wert seines Grundstücks ist selbstverständlich ebenfalls gestiegen.

Auf die eine oder andere Art und Weise dürften alle Beteiligten in den Widmungsprozess involviert gewesen sein, was diese naturgemäß bestreiten. Was sich nicht bestreiten lässt ist, dass die Umwidmung jedenfalls absehbar war. Das ist sowohl anhand von Protokollen als auch von persönlichen Aussagen Nevrivys nachvollziehbar. Unbestreitbar ist auch, dass die Politiker:innen vor dem Kauf keine Pächter:innen waren und ihnen der Reiz der Schrebergartenidylle somit verborgen blieb.

Über die Details des Skandals gibt es genügend nachzulesen. Ich möchte hier noch einmal auf die sozialen Grundwerte, auf Basis derer Kleingartensiedlungen geschaffen wurden, hinweisen. Kreisky hätte wohl gesagt, „Lernen Sie Kleingartengeschichte, Herr Nevrivy.“, um zu verhindern, dass ein gut funktionierendes Sozialprojekt von Sozialist:innen in eine Villengegend umgewandelt wird. Der Bezirksvorsteher betont, dass er sich in Zukunft jedenfalls auch der Kleingärtnerei widmen werde. So stellt sich schlussendlich die entscheidende Frage: Was werden Sie nach den Wahlen anbauen, Herr Nevrivy?

(misch)