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Schöne neue Seestadt-Welt

  • Donnerstag, 24. November 2022 @ 11:02
Was uns dazu auf- und einfällt - Betrachtungen von Hilde Grammel

Den Bewohner*innen der Seestadt werden – wie überall sonst auch – nur höchst unvollständige Einblicke gewährt in Entscheidungen, die im Hintergrund getroffen werden, etwa, um Investoren anzulocken. Unklar bleibt, wie die konkrete Unterstützung mit öffentlichen Geldern für jene Unternehmen aussieht, die man hier ansiedelt.

Wir erinnern uns: 1979 hat der Bund das Gelände dem General Motors-Konzern um einen symbolischen Schilling die Nutzungsrechte für 99 Jahre überlassen – jetzt wurde es mit Geldern der Allgemeinheit wieder zurückgekauft und neuen Firmen zu vermutlich günstigsten Bedingungen überlassen.

Fest steht etwa, dass die Seestadt jetzt einen „Pharmacluster“ bekommt: Bisher hat sich die Firma BioMay auf dem Areal angesiedelt, das 2019 von der Wien 3420 Stadtteil-Entwicklungs-AG um 3,6 Mio. € erworben wurde, der Spatenstich für das Unternehmen Hookipa Pharma gleich nebenan erfolgte im Herbst letzten Jahres.

Ein weiterer Pharmakonzern, dessen Niederlassung 2025 fertiggestellt sein wird, ist Takeda, ebenfalls mit sogenannter Life Science beschäftigt.

Investoren für Wasserfront stehen fest

Ein weiterer Hotspot ist das Areal unmittelbar nördlich des Sees, die „Waterfront“. Dort wurden im Frühjahr in einem Bieterverfahren die für Investoren interessantesten Baugründe der Seestadt, die „Filetstücke“, vergeben: Soulier Real Estate und Moser Wohnbau & Immobilien Wien werden zwei Hochhäuser (deren maximal zulässige Bauhöhe 84 m beträgt) hinstellen. Zwischen den Hochhäusern (Pier 01 und Pier 05) und Seestadtpromenade (der Fußgängerzone entlang des Sees) wird eine Arkadenzeile mit Gastronomiebetrieben und Geschäften gestaltet. Laut Homepage der Wien 3420 AG werden die beiden Projekte 75 Prozent freifinanziertes Wohnen und 25 Prozent gewerbliche bzw. sonstige Nicht-Wohnnutzungen aufweisen. Also vorerst mal nix mit sozialem Wohnbau, zumindest nicht in den Hochhäusern. Ist es einmal fertiggestellt, wird das neue Quartier „Seeterrassen-Quartier“ heißen. Mit Baubeginn wird nicht vor 2025 gerechnet.

Stellplätze für über 700 Autos

Während man sich einerseits die klimafitte Bauweise der neuen Gebäude im Seeterrassen-Quartier an die Fahnen heftet, baut man anderswo in der Seestadt die xte. Parkgarage statt leistbaren Wohnraum. Am Baufeld H4C an der Sonnenallee wird gerade ein Gebäude fertiggestellt, das neben einem Veranstaltungssaal (dessen Nutzung wie so vieles in der Seestadt unerschwinglich sein wird) 317-PKW-Stellplätze enthalten soll. Und das in einigen Meter Entfernung von der Kulturgarage mit 537 Stellplätzen! Ich halte dies für eine Vergeudung von wertvoller Baufläche, da die Seestadt ohnehin bestens mit Parkgaragen versorgt ist. Dasselbe gilt für die Flut an Büros, sogenannten Workspaces, die überall in der Seestadt aus dem Boden sprießen, z.B. der Gebäudekomplex „Robin“ im Seeparkquartier, drei Betonklötze mit keiner einzigen Wohnung darin. Auch hier stellt sich die Frage, wer im Zeitalter von Home-Office so viele Büros mieten wird. Erbaut wird das Ding von Soravia, das das Bauvorhaben als Vorzeigeprojekt bewirbt, das es „unter größtmöglichem Einsatz natürlicher, recyclingfähiger Baumaterialien, gepaart mit smarter Technologie und der Nutzung erneuerbarer Energiequellen“ realisiert wird.

Ehrenamtliche Arbeit der Bürger*innen

Während einerseits im Investoren- und Bausektor mit Millionenbeträgen jongliert und in Sub-Unternehmen billige Arbeitskraft aus Osteuropa verbraucht wird, ist andererseits für die Gestaltung des Lebensraums die ehrenamtliche, sprich: unbezahlte Arbeit der Bewohner*innen gefragt, geht es nun um die Sauberhaltung des Sees oder um die Nachbesserung der vergessenen spärlichen Begrünung. Nach vielen Protesten von Bürger*innen wurde zwar die Fußgängerzone im Seequartier, die zunächst eine geschlossene Asphaltfläche war, von der Stadt Wien verschönert, andere Begrünungsvorhaben sind aber von den Bewohner*innen selbst zu leisten – und das gegen Miete für den dafür genutzten öffentlichen Raum! Im Sommer sah man sie mit Lastenrädern und Wassertanks die von ihnen gepflanzten Anlagen am Hannah-Arendt-Platz vor Austrocknung bewahren. Oder im See nach dort versenkten Einkaufswagen u.a. tauchen. So sieht Gemeinwohlarbeit in Zeiten des Neoliberalismus aus, womit sich die Stadt jedenfalls einiges Geld erspart.