Willkommen bei KAKTUS - Online / KPÖ-Donaustadt 

„Die Stadtstraße ist der Gipfel der Unnötigkeit“ (Jutta Matysek)

  • Montag, 7. März 2022 @ 06:21
Keine neuen Autobahnen! Am Freitag, 4.3.2022, hielt das Lobau-Forum bei Wien-Mitte eine Kundgebung
zu verkehrspolitischen Alternativen mit Fokus auf Wien ab.



Die Redner_innenliste war umfangreich, umfasste Aktivist_innen von Bürger_innen-Initiativen genauso wie Vertreter_innen von Wissenschaft und Forschung. Einmal mehr wurde das Lobau-Forum damit seinem Ziel gerecht, den umweltpolitischen Diskurs in die Gesellschaft hineinzutragen, Aufklärung im weitesten Sinn zu bieten und auch so manchem_mancher Politiker_in ins Gewissen zu reden.

Da hier nur kurze Einblicke geboten werden können, sei auf die Webseite des Lobau-Forums verwiesen, auf der Interessierte in Kürze die Reden als Videos ansehen und -hören und konkrete verkehrspolitische Forderungen finden können.

Ignoranz gegenüber den Bürger_innen

Die Vertreter_innen der Bürger_innen-Initiativen berichteten unisono von ähnlichen Erfahrungen: von zahnlosen Umweltverträglichkeitsprüfungen, die Projekte höchstens verzögern, aber nicht aufhalten, da diejenigen, die sie begutachten, gleichzeitig auch die Auftraggeber sind (dies wurde als „strukturelle Unvereinbarkeit und Befangenheit“ bezeichnet); vom Ignorieren des Bedarfs der Bevölkerung an umweltfreundlicher Verkehrsinfrastruktur; von Falschinformation der Öffentlichkeit durch Politiker_innen, die ihre eigenen Klimaziele nicht ernst nehmen; von verkehrspolitischen Alternativvorschlägen im Sinne klima- und menschenfreundlicher Politik, die beharrlich ignoriert werden, selbst dann, wenn sie um ein Vielfaches billiger sind als die geplanten Projekte – aber das Geld, mit dem hier hantiert wird, ist ja eh nur Steuergeld.

Stellvertretend für die Unzufriedenheit der Bürger_inneninitiativen sei hier Alfred Benda von der BI „Hirschstetten retten“ zitiert. Er rechnete in seinem Redebeitrag der Stadt Wien vor, dass sie mit der Umsetzung der Autobahnbauten in der Donaustadt niemals die angepeilte Reduktion des MIV (motorisierten Individualverkehrs) von jetzt 27% auf 17% erreichen wird. Da sich die Anzahl der Autos auf der Südost-Tangente von jetzt 211.000 auf 264.000 erhöhen wird, baut man die Stadtstraße.

Heinz Mutzek vom Bürger_innen-Initiativen-Netzwerk Wien Niederösterreich Nordost (BNWN) verwies einmal mehr auf die massive Überdimensionierung der Stadtstraße, deren Kurvenradien auf Geschwindigkeiten von 110 km/h ausgelegt sind, während man nur 50 km/h höchstens fahren dürfe. Als Partei im UVP-Verfahren kritisierte er die als umweltverträglich eingestufte Nacht- und Wochenendarbeitserlaubnis im Bereich Emichgassed als „menschenverachtend“. (Anm. der Verf.: Vielleicht sollten die Entscheidungsträger_innen dazu eingeladen werden, 108 Tage in einem der Gemeindebauten zu verbringen, vor deren Türen die Tunnel der Stadtstraße in vierspurigem Verlauf rund um die Uhr errichtet werden?)

Aufhören, das Falsche zu tun

Von der Fahrlässigkeit, Geld in eine Verkehrsinfrastruktur zu stecken, die nichts zur Klimaneutralität beiträgt, sprach Ulrich Leth, Verkehrsplaner an der TU Wien. Mit der Stadtstraße wird nur mehr Verkehr ins niederrangige Straßennetz gepumpt, in die Stadt hinein. Öffi-Ausbau und Parkraumbewirtschaftung sind ein guter Anfang, um eine Verkehrswende einzuleiten. Es braucht aber auch und vor allem Nahversorgung und Arbeitsplätze in der Wohnumgebung. Für die Stadtstraße ist ein sofortiger Baustopp zu veranlassen, um das Projekt neu zu evaluieren und bessere Alternativen umzusetzen.

Verfehlte Stadtentwicklung

Wer die Stadt als Ansammlung von Inseln denkt, braucht Straßen, um diese Inseln miteinander zu verbinden, meinte Andreas Vass, Vorsitzender der Gesellschaft für Architektur. Während die Stadtteil-Innenräume, etwa der Seestadt, attraktiv gestaltet werden, auch im Hinblick auf die Anlockung von Investoren, soll das Umland alles aufnehmen, was man nicht haben will. Was hier erfolge sei eine „Funktionstrennung über das Investment“. Die systematische Zerlegung / Fragmentierung der Stadt in einzelne Inseln hat zur Folge, dass das Infrastrukturnetz einzig und allein auf den MIV ausgerichtet wird. Stattdessen braucht es ein flächendeckendes Netz von tatsächlichen Stadtstraßen, auf denen sich vieles gleichzeitig abspielt: wohnen, arbeiten, einkaufen, spielen, Bewegung, Leben.

„Wir wollen eine Verkehrswende statt Autos ohne Ende“

Mit diesen Worten leitete Jutta Matysek von der BI Rettet die Lobau ihre Rede ein. Verkehr gilt es in erster Linie zu vermeiden, falls dies nicht möglich ist, ihn zu verlagern und geht auch das nicht, ihn zu verbessern. Zur Vermeidung: Grünraum-Schaffung vor der Haustüre etwa reduziert Freizeitverkehr. Auch gehört allgemein das zulässige Fahrtempo von Autos noch mehr reduziert, damit Kinder alleine in die Schule gehen können. So würden sie ihre Umgebung auch anders wahrnehmen, sich daran gewöhnen, sich in ihr zu bewegen. Untersuchungen hätten gezeigt, dass Kinder, die gebeten wurden, Eindrücke von ihrem Schulweg zu zeichnen, die schwarzen Nackenstützen der Autos ihrer Eltern wiedergeben.
Zur Verlagerung nicht vermeidbarer Verkehre nannte sie den Ausbau öffentlichen Verkehrs, Intervallverdichtung, Bau statt Auflassung von Stationen; die Schaffung sicherer, vom Autoverkehr getrennter Fahrradwege.
Eine Verbesserung bestünde etwa im Einsatz von E-Autos statt Benzin- und Dieselautos, diese verbrauchen aber ebenso viel Platz und ab 40km/h sei das Abrollgeräusch der Reifen genauso laut. (Anm. der Verf.: Auch sind die Fragen von Stromverbrauch und Batterien-Entsorgung ungelöst.)

Zuletzt wies sie darauf hin, dass es eine politische Entscheidung bleibt, ob die Autobahnen gebaut werden, selbst wenn der Rechtsweg ausgeschöpft ist. Und auf diese müssen wir Einfluss nehmen: Für die Änderung des Bundesstraßengesetzes Anhang 2 braucht es eine einfache Mehrheit im Parlament, für die Absage der Stadtstraße einen Gemeinderatsbeschluss im Wien.

Zum Schluss bleibt nur einmal mehr Dank auszusprechen an alle Beteiligten für ihre Zeit, ihr Engagement, ihre Beharrlichkeit im Kampf um eine lebenswerte Zukunft. Sich für eine Verkehrswende einzusetzen ist „ein Gebot der Stunde, wenn man Klimaneutralität erreichen will, wenn diese Menschheit überleben will.“ Deshalb sollte jeder und jede sich engagieren!

Aufruf zur Kundgebung am 04.03.2022

Webseite des Lobau-Forums