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Stadtstraße und Lobau-Autobahn, evaluiert?

  • Montag, 16. August 2021 @ 04:43

Am 4. Juli gab es unter dem Titel Lobau-Forum ein Vernetzungstreffen gegen die Bauvorhaben rund um die Lobau. Im Anschluss daran führte der KAKTUS mit Jutta Matysek, Obfrau des Vereins „Rettet die Lobau – Natur statt Beton“, folgendes Interview:

KAKTUS: Dein Eindruck nach dieser Veranstaltung?

J. Matysek: Es gibt eine ganze Menge Leute, die interessiert sind, etwas gegen die geplanten Autobahnprojekte zu tun, und das ist sehr notwendig, weil es sein kann, dass heuer noch ein Baubeginn erfolgt und es jetzt etwas dagegen getan werden muss. Jetzt kann man die Autobahnen noch verhindern, aber wenn einmal gebaut ist, wird es schwer, die Verwendung zu verhindern – auch wenn das für die Reduktion der explodierenden verkehrsbedingten Treibhausgase mehr als notwendig wäre.

KAKTUS: Wie stehst du zu der Bauvorhaben-Evaluierung bis zum Herbst durch Ministerin Leonore Gewessler?

J. Matysek: Diese Evaluierung ist sicher zu begrüßen, es geht ja darum, dass diese Autobahnprojekte zu einem Zeitpunkt beschlossen wurden, wo es das Pariser Klimaschutzabkommen noch gar nicht gab. Die ASFINAG geht von einem Bestand 2005 aus, von dem sie völlig unrealistische Verkehrszuwächse für die Zukunft prognostiziert. Entscheidend wird sein, ob diese Evaluierung ergebnisoffen erfolgt und alle Bereiche berücksichtigt, vor allem Klima- und Bodenschutz und die Anliegen der Bevölkerung Gehör finden.

KAKTUS: Was kann getan werden, um mehr Wiener*innen die Problematik der Lobau-Autobahn näher zu bringen?

J. Matysek: Fakten auf den Tisch! Den wenigsten ist bekannt, dass es hier um eine internationale Schwerverkehrsachse von Gdansk (PL) an der Ostsee nach Wien geht, einem künftigen „Trans-European Transport Network“-Knoten. Wer aber will an einer solchen Transitschneise wohnen? Die geplanten Autobahnen bringen Belastung statt Entlastung. Auf der Tangente fährt 5-8% reiner Tansitverkehr. Der Rest ist Ziel- und Quellverkehr. Das sind PKW und LKW, die in und nach Wien unterwegs sind und sicherlich nicht um einen Außenring um Wien herum und nach Schwechat fahren wollen.

KAKTUS: Die Maxime des Kapitalismus „Freie Fahrt für freie Bürger“ funktioniert nur mit weiterem Straßenbau?

J. Matysek: Jede neue Straße produziert mehr Verkehr. Die ASFINAG erwartet in ihren Prognosen im Lobautunnel eine Stunde Stau pro Tag und noch mehr Fahrzeuge auf der Südosttangente. Freie Fahrt? Keine Rede!

KAKTUS: Was ist für die Mobilität von morgen in Wien notwendig?

J. Matysek: Primär sind der öffentliche Verkehr und die Fahrrad- und Fußgehinfrastruktur auszubauen. Eine Entschleunigung des stressigen Alltags wird es nur geben, wenn auch das Verkehrssystem entschleunigt wird. Wir brauchen eine Flächenwidmung, die die Nichtmotorisierten bevorzugt, für sie mehr Platz und Sicherheit schafft. Welche Mobilität wollen wir? Ich denke, wenn die alltäglichen Wege zu Arbeitsplatz, Schule, Geschäften, Arzt usw. in Fuß- bzw. Raddistanz sind, dann muss sich in Zukunft kaum mehr einer in ein Auto einsperren. Und wenn schon Auto, dann vermehrt Carsharing, Taxis und Lieferdienste, die individuellen Autobesitz und riesigen Flächenverbrauch für Parkplätze nicht mehr notwendig machen. Bezüglich Güterverkehr: Laut Verkehrsclub Österreich (VCÖ) ist jede dritte LKW-Fahrt eine Leerfahrt; die Hälfte des Gütertransportes in Wien wäre mit Lastenrädern, die bis zu 200 kg transportieren können, möglich.

KAKTUS: Was ist dein Antrieb, dich seit 18 Jahren gegen eine Lobau-Autobahn einzusetzen?

J. Matysek: Ich bin Umweltschützerin, und es wäre absurd, wenn ich mich für den Regenwald einsetze, aber die Lobau vor meiner Haustüre – ein Paradies – nicht schütze. Weiters bin ich Betroffene der drohenden Stadtstraße und wäre noch mehr Lärm und den Abgasen ausgesetzt; und ich möchte die Gefahr abwenden, dass mit dem Vortrieb des Tunnels durch die Altlast Tanklager-Lobau das dahinter liegende, bedeutende Trinkwasserreservoir im Nationalpark mit Erdöl verseucht und damit ungenießbar gemacht wird.

KAKTUS: Begünstigt ein verhinderter Lobautunnel eine andere Ökonomie?

J. Matysek: Durchaus ja. Mit einer Stadt der kurzen Wege, der Entschleunigung wird es auch eine andere Wirtschaft geben. Das hat Einfluss auf die Wertschöpfungskette, die innerhalb der Region verbleibt. KAKTUS: Was könnte dazu beitragen, dass vermehrter öffentlicher Verkehr positiv besetzt wird? J. Matysek: Das 1-2-3 Ticket sofort umsetzen! Mehr schienengebundene Öffis über die Stadtgrenze führen, damit Pendelnde auf umweltfreundliche Verkehrsmittel umsteigen können. Kostenwahrheit im Verkehr! Allen, die das wollen und wo es vom Arbeitsplatz her grundsätzlich möglich ist, mehr Homeoffice garantieren!

KAKTUS: Ist das Festhalten an überholten Konzepten von Entscheidungsträger*innen nicht auch ein Produkt eines demokratischen Mankos?

J. Matysek: Ist es, Beispiel UVP! Die bestehende Umweltverträglichkeitsprüfung ist im höchsten Maß reformbedürftig, Bürger*innenbeteiligung wird systematisch verunmöglicht, und Prognosen auf Grundlage veralteter Annahmen werden für die Zukunft festgeschrieben. Klimaschutz, CO2-Emissionen und Bodenverbrauch werden nicht berücksichtigt!

KAKTUS: Ist Lobautunnel & Co. demokratisch zu verhindern?

J. MATYSEK: Muss er sein!

KAKTUS: Danke für dein Schlusswort.

Das Interview für den KAKTUS führte Wolfgang Sigut.