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Vorschlag einer Straßennamenbenennung nach Charlotte Eisler (1894-1970)

  • Mittwoch, 6. Januar 2021 @ 08:36
Alle Welt kennt den Komponisten Hanns Eisler, langjähriger Weggefährte Bert Bechts, Komponist u.a. des Solidaritätsliedes (1932), des Einheitsfrontlieds (1933) und später der Nationalhymne der DDR (1949). Eisler, jüdischer Herkunft und Kommunist, war vor den Nationalsozialisten zuerst nach Mexiko, danach in die USA geflohen, die er 1947 aufgrund „unamerikanischer Umtriebe“ verlassen musste. Von 1949 bis zu seinem Tod 1962 lebte Hanns Eisler in der DDR.

Dieser Beitrag handelt aber nicht von ihm, sondern von Charlotte, seiner ersten Ehefrau und Mutter seines Sohnes Georg, mit der Hanns Eisler von 1920-1935 verheiratet war.

Um das Leben dieser bemerkenswerten Frau dem Vergessen zu entreißen, setzt sich Hilde Grammel, Mitbegründerin der Plattform 20000 Frauen und Bezirksaktivistin der KPÖ-Donaustadt, dafür ein, eine Straße in der Seestadt nach ihr zu benennen, und hat ihren Vorschlag wie folgt begründet:

+ Das Leben und die Verdienste von Frauen im Schatten ihrer berühmten Männer und Söhne ist viel zu wenig bekannt ebenso wie ihr Anteil an deren Prominenz gemeinhin unsichtbar bleibt. Dem soll durch diese Straßenbenennung ein Stück weit entgegengewirkt werden.

+ Der Lebensweg Charlotte Eislers ist in vielfacher Weise von den politischen Ereignissen der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts geprägt: Als Kommunistin und Jüdin war sie Antifaschistin, politische Aktivistin, Verfolgte und Exilierte. Wie Margarete Schütte-Lihotzky fand sie nach ihrer Rückkehr aus dem Exil in Wien nicht die Anerkennung, die ihr zugestanden wäre und musste sie politisch motivierte Ausgrenzung erfahren.

+ Es besteht ein Bezug zum 22. Bezirk: Charlotte Eisler hat nach ihrer Rückkehr aus dem Exil in Großbritannien als Gesangslehrerin an der Musikschule Kagran gearbeitet.

+ Die Lebensgeschichte Charlotte Eislers reiht sich in jene der vielen anderen Frauen ein, derer in der Seestadt gedacht wird und eine nach ihr benannte Straße passt daher sehr gut in dieses Ensemble.

Knapp vor Weihnachten hat Hilde Grammel ihren Vorschlag der Donaustädter Bezirksvertretung übermittelt und vom Bezirksvorsteher erfreulich schnell folgende Antwort erhalten:
„…Nachdem in der Donaustadt in nächster Zeit laufend Straßen zu benennen sein werden, bin ich sehr froh, wenn uns diesbezügliche Vorschläge zugetragen werden, noch dazu von so verdienten Persönlichkeiten wie Charlotte Eisler deren Lebenswerk Sie beeindruckend beschreiben. Gerne habe ich Charlotte Eisler auf unsere Liste für künftige Straßenbenennungen setzen lassen. Ich bin zuversichtlich, dass eine routinemäßige Überprüfung des Namens auf einen Bezug zum Nationalsozialismus negativ verlaufen wird und wenn der Bedarf gegeben ist, der Benennung einer Verkehrsfläche nichts mehr im Wege stehen wird.“

Die vom Bezirksvorsteher zugesagte Unterstützung lässt uns auf eine baldige Verkehrsflächenbenennung nach Charlotte Eisler im 22. Bezirk hoffen.

Die vielen Leben einer Frau: Sängerin, Pianistin, Musikwissenschaftlerin, Kommunistin, Mutter

Die Familie von Charlotte Demant war 1914 nach Wien geflohen, wo Charlotte (geb. 1894) ihr bereits in Czernowitz (Bukowina, heute West-Ukraine) begonnenes Gesangs-, Klavier- und Musikstudium fortsetzte. Um sich diese Ausbildung finanzieren zu können, arbeitete sie als Bankangestellte bei der Creditanstalt-Bankverein. 1919 lernte sie Hanns Eisler kennen, der, wie sie, in den Kreisen von Arnold Schönberg und Anton von Webern verkehrte und von ihrer Fähigkeit, seine Lieder unmittelbar vom Blatt singen zu können, sehr beeindruckt war. Im August 1920 wurde geheiratet. Charlotte gab Konzerte in Wien, wobei sie sich neben dem klassischen Liedrepertoire vor allem dem Vokalschaffen der Wiener Schule widmete. Seit 1924/1925 engagierte sich Charlotte Eisler in der KPÖ, Hanns Eisler verlegte 1925 sein Wirken nach Berlin. 1926 folgte sie ihrem Ehemann kurzzeitig dorthin. 1927 fuhr sie schwanger zurück nach Wien, wo sie bis zu deren Tod 1929 die erkrankte Mutter von Hanns Eisler pflegte und sich um den zehnjährigen Gerhart Friedländer, den Sohn ihrer Schwägerin Elfriede Friedländer (später: Ruth Fischer) kümmerte. Am 20. April 1928 wurde ihr Sohn, der spätere Maler Georg Eisler, geboren.

Auch nach dem Verbot der KPÖ am 26. Mai 1933 setzte sie ihre politische Tätigkeit fort und stellt ihre Wohnung als Unterschlupf für ausländische KP-Funktionäre zur Verfügung. 1936 wanderten sie und ihr Sohn in die Sowjetunion aus, da ihre materielle Situation in Wien immer schwieriger wurde. Dort arbeitete sie am MUSGIS, dem staatlichen Musikverlag, wo sie ein Eisler-Busch-Liederbuch und die Lieder von Sergeij Prokofiev herausgab, außerdem war sie als Gesangslehrerin tätig. 1938 wurde ihre Aufenthaltserlaubnis jedoch nicht verlängert – was ihnen rückblickend wohl das Leben gerettet hat – sie und ihr Sohn wollten nach Wien zurück, was jedoch aufgrund des Anschlusses im März 1938 nicht mehr möglich war. Die beiden strandeten in Prag, wo sie sich ein Jahr lang aufhielten, bevor sie mit Hilfe der Quäker nach England fliehen und sich in Manchester niederlassen konnten. In den Jahren des Exils gab Charlotte Eisler Liederabende in ganz England, wobei sie sich selbst am Klavier begleitete, veranstaltete Kammermusikabende gemeinsam mit dem ebenfalls exilierten ehemaligen Cellisten der Wiener Philharmoniker Friedrich Buxbaum, arbeitete als Gesangslehrerin bei der YWCA (Young Women’s Christian Association), leitete einen Frauenchor, gab Liederabende in der Anglo-Austrian Society, einem Zusammenschluss von Exilierten, der sich für die Wiederherstellung der Souveränität Österreichs einsetzte. In jener Zeit begann auch Georg Eisler sein Kunststudium, das seine Mutter zunächst in England und nach ihrer Rückkehr nach Wien 1946 finanzierte, wo Georg Eisler an der Akademie der bildenden Künste bei Herbert Boeckl sein Studium fortsetzte.

Charlotte Eisler selbst konnte nach ihrer Rückkehr aus dem Exil nur schwer beruflich Fuß fassen, wofür nicht zuletzt ihre politische Überzeugung verantwortlich war. 1946 bewarb sie sich für einem Posten als Lehrerin am Wiener Konservatorium, doch wurde ihr mitgeteilt, dass leider keine Professur möglich sei. Sie konnte nur als Musiklehrerin an der Musikschule Kagran arbeiten, wobei es keinen fixen Arbeitsvertrag gab, sondern die Bezahlung nur nach gehaltenen Stunden erfolgte. Darüber hinaus versuchte sie, sich und ihren Sohn mit Liederabenden in der RAVAG (der Radio-Verkehrs-AG, der ersten österreichischen Rundfunkgesellschaft), im Musikverein, im Konzerthaus und einem Hauskonzert in der Universal-Edition über Wasser zu halten. Sie arbeitete auch als Leiterin von Arbeiterchören, u.a. in Floridsdorf, und des Jugend-Fabriks-Chors bei Siemens-Schuckert. Leider ist von ihrer umfangreichen Aufnahmetätigkeit für den österreichischen Rundfunk nichts mehr erhalten, da die Tonbänder in den 1950er Jahren alle gelöscht wurden. Georg Eisler sprach in diesem Zusammenhang von einem „späten politischen Racheakt“. 1952 starb ihr ständiger Klavierbegleiter, der Pianist und Dirigent Herbert Häfner, überraschend, danach sind keine musikalischen Aktivitäten Charlotte Eislers mehr nachweisbar.

Ein Grund dafür war auch ihr inzwischen sehr schlechter Gesundheitszustand, der zu ihrer Arbeitsunfähigkeit führte. Nun begannen die zermürbenden Jahre der Auseinandersetzung mit Hanns Eisler um Unterhaltszahlungen. 1953 hat dieser seine Unterhaltspflicht ihr gegenüber erstmals anerkannt, jedoch ist er ihr realiter nur äußerst unregelmäßig nachgekommen. Es mussten sogar die Parteigremien der SED eingeschaltet werden, um den Komponisten dazu zu bewegen, seiner ersten Ehefrau und Mutter seines Sohnes das zum Überleben Notwendige zukommen zu lassen. Charlotte Eisler selbst wollte nicht, dass sein Name im Zusammenhang mit ihrer Notlage, die immerhin 18 Jahre bis zu ihrem Tod 1970 andauerte, „in der Öffentlichkeit angeprangert werde“.

Charlotte Eisler starb am 21. August 1970, Ihr Urnengrab befindet sich gemeinsam mit jenem ihrer Schwiegereltern auf dem Wiener Zentralfriedhof.