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„Wollt ihr die totale Schule?“

  • Donnerstag, 10. April 2014 @ 06:31
Brief eines Lehrers - von Karl Gugler

Ich habe lange überlegt und mich mit mehreren geschätzten Kollegen darüber beraten, ob es zulässig ist, das, was gerade mit dem Schulwesen gemacht wird, mit einem furchtbaren Sager von Joseph Goebbels zu überschreiben. Schließlich geht es nicht um Krieg. Niemand im Schulwesen ruft dazu auf, die Angehörigen anderer Völker zu vernichten. Die Rhetorik dazu ist auch bedeutend weniger hysterisch.

Der totalitäre Charakter des neuen Bildungswesens …

Wenn man den Krieg aber durch die Begriffe Konkurrenz oder Wettkampf ersetzt, dann zeigen sich verblüffende Ähnlichkeiten mit den Absichten des Dr. Goebbels in seiner Sportpalastrede. Und man sollte „national“ in Teilen durch „EU“ ersetzen. Dann allerdings sind die Entsprechungen in den Absichten und Aufrufen frappierend. Die ökonomisch angesagte totale Konkurrenz krempelt die Bildungslandschaft ordentlich um. Die Schüler/innen, die Eltern, aber auch die Lehrer/innen haben ab sofort nicht mehr blöd herumzudiskutieren. Worum es jetzt geht – in den Zeiten der Not – heißt: Jeder hat mehr, viel mehr aus sich herauszuholen als bisher, hat mehr zu schuften und sich gefälligst mit seinem gesamten Ich und möglichst der Gesamtheit seiner Zeit permanent einzusetzen, zur Verfügung zu halten und zu ertüchtigen. Privatzeit wird abgeschafft: Web-Plattformen und e-Mail schließen die Effizienzlücken des totalen Unterrichts. Man gewinnt den Eindruck: Rund um die Uhr wird gemanaged, gecoached, trainiert und geübt. Wenn sich dem jemand entziehen will, dann ist er zunächst altmodisch, dann ein/e Drückeberger/in. Das Team stellt das schon fest. Am Ende hat er/sie mit Sanktionen zu rechnen, mit Vorwürfen, er/sie beteilige sich nicht am Gemeinsamen, an den nationalen und/oder europäischen Bildungszielen. Dann ist er/sie ein/e Schmarotzer/in. Man muss ihn/sie dann aussondern.

Aber immerhin, man wird in diesem Bildungsverband noch nicht wegen Wehrkraftzersetzung standrechtlich erschossen. Das wäre nach der Sichtweise der Bildungsökonomie kontraproduktiv, weil man ja aus einem Toten schlicht nichts mehr herausholen kann. Insofern ist das Goebbels-Zitat also (noch) falsch verwendet.

… und warum das so sein muss!

Im Wettkampf gegen die USA, Indien, China, Russland haben wir Österreicher/innen, gemeinsam mit den Europäer/innen (Anm.: Wirklich mit allen?), nur unsere Humanressourcen, also das Know-how der Köpfe zu bieten, um vorne zu bleiben oder dort wieder hinzukommen. Sonst wird es uns schlecht ergehen.

Das erzeugt Angst im Kollektiv, Angst, zum Loser zu werden. Die Hauptschulen in den Großstädten sind bereits zu solchen „Loser-Schulen“ geworden. Deshalb werden sie gerade von der SPÖ abgeschafft (vulgo: umbenannt). Dabei sollten gerade deren Aktivist/innen Geschichte gelernt haben und wissen, dass es dumm ist, den Überbringer der schlechten Nachricht zu erledigen. Aber sie haben es zur Zeit ja wirklich schwer, die SP-ler, wenn einfach kein Geld da ist für Schulen, Sicherheit und Krankenhäuser, weil es die Banker in Milliardenhöhen verjubelt haben und nicht bankrott gehen dürfen.

Die Kapitalist/inn/en zeigen ihnen eben jetzt, wo es lang geht. Und ich befürchte, dass DAS der Hauptgrund für die Vereinheitlichung der nationalen Bildungssysteme innerhalb der EU ist. Das britische System in Österreich einzurichten – und darum geht es im Wesentlichen – bedeutet eine völlige Abkehr von dem, was hierzulande jahrzehntelang üblich war – und das bürgt für Zores. Der Internationalismusgedanke, Matura in Wien, Praktikum in Lettland, Studium in London hat etwas Charmantes. Aber vor allem macht so etwas die Ausbildung effizienter und verwertbar. Noch bestehenden nationalen Oasen für beschauliche Bildung des Individuums und Möglichkeiten zum Nachdenken über Gott und die Welt und den Zweck des Daseins gräbt man damit erfolgreich das Wasser ab. Das moderne, kollektive Team der Effizienzfanatiker hat Leute, die so etwas fordern, als Drückeberger und Parasiten erkannt. Nein sie werden nicht erschossen, sie werden marginalisiert oder umerzogen: Sieh es doch ein: Orchideenfächer verbessern unsere Konkurrenzfähigkeit nicht! Mach dich brauchbar!

Ums mit Goebbels zu sagen: „Nun, Volk, steh auf, und Sturm, brich los!“

Mit freundlichen Grüßen
Karl GUGLER
schulprobleme@kpoe.at