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Wien will’s wissen?

  • Donnerstag, 25. März 2010 @ 08:33
Brief eines Lehrers - von Karl Gugler

„Kinder sollen in Wien die besten Bedingungen vorfinden. Sie sollen in ihrer sozialen und schulischen Entwicklung unterstützt werden.“

Das ist ein Zitat aus den vielen Werbeseiten der Presse, die zur Teilnahme an der Volksbefra-gung animieren sollten. Die Stadt Wien hat das bestellt und auch bezahlt (also wir alle), ob-wohl es als Wahl-Slogan der SPÖ unschwer erkennbar ist. Das schont das Wahlbudget der Wiener SPÖ.

Das sind schöne Worte da oben. Wer wollte das denn nicht, dass Kinder beste Bedingungen vorfinden? Eine „no na ned Frage“ also. Irgendwie müssen das viele Wiener/innen auch so verstanden haben, sonst wäre die Beteiligung an der „Volksbefragung“ wohl etwas höher ausgefallen. Beste Bedingungen also. Wenn ich jetzt einmal den völlig Naiven spielen darf, dann denke ich dabei an beste Schulhäuser, beste Ausstattung mit technischen Hilfsmitteln und beste Aus- und Weiterbildung für die Pädagog/inn/en mit bester Unterstützung durch die Schulverwal-tung. Und augenblicklich ergreifen mich Grimmigkeit und Zorn bei so viel Heuchelei und Falschheit. Genau das Gegenteil habe ich im Verlauf meiner 27 Dienstjahre erfahren: Räume mit widerlichem Mobiliar, immer wieder ausfallender Heizung, technischen Geräten und di-daktischen Hilfsmitteln von Vorvorgestern. Davon gab und gibt es ausreichend. Jeder Verbes-serungswunsch musste zuerst auf eine ohnehin schon elendslange Warteliste und es dauerte mindestens ein Jahrzehnt, bis man eine vertretbare Ausstattung beisammen hatte.

Dazwischen gab es auch eine Unterrichtsministerin, die einen größeren Sparauftrag umzuset-zen hatte (sie benannte ihn Schülerentlastungsverordnung, kein Witz) und deshalb die Ge-samtunterrichtszeit ordentlich verkürzte. Für mich als Chemielehrer hatte das eine Verringe-rung von 3 auf 2 Wochenstunden pro Klasse zur Folge. Ich konnte meine gerade erst angelau-fene Unterrichtsidee „Schüler/innen experimentieren in Zweiergruppen selber“ wieder ad acta legen und die in vielen, vielen Stunden vorbereiteten und aufgebauten Materialiensammlun-gen in den Müll schmeißen.

Sie können sicher nachvollziehen, dass ich heute meine, dass das wichtigste Merkmal eines Lehrers sein muss, unbändige Zähigkeit in seinen Genen zu haben, damit er sich vom Schul-betreiber, der Schulbehörde also, nicht entmutigen lässt.

Zu den „besten Bedingungen“ für Schulkinder gehören wohl auch die „besten Lehrer/innen“. Und das wäre nun schon wirklich eine spannende Aufgabe: Lehrer/innen besser machen.

Da stehst du in den ersten Berufsjahren vor Horden von Vollpubertierenden, kramst kurz in den Ausbildungsvorkommnissen zur Pädagogik und zur Entwicklungspsychologie – und merkst hoffentlich recht bald, dass du die ganze Theorie möglichst schnell vergessen kannst. Fast alle Kolleg/inn/en bestätigen mir, dass sie sich dann an ihre eigenen alten Lehrer, von denen sie unterrichtet worden waren, hielten und deren Methoden übernahmen. Das geht al-lerdings nur dann gut, wenn die eigene Persönlichkeit ausreichend entwickelt worden ist. Was nicht ist, kann ja noch werden. Nach diesem Motto könnte man gewiss eine erhebliche Ver-besserung des pädagogischen Personals vorantreiben. Die Kosten für Selbsterfahrungs- und Psychotherapiekurse wären allerdings gewaltig, weil der Bedarf sehr hoch wäre.