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Winfried Wolf: "Bahnprivatisierung auf der Zielgeraden oder vor dem Prellbock"

  • Donnerstag, 7. Februar 2008 @ 12:30
Spätestens als am 30. August im "Stern" der von Arno Luik verfasste Artikel "Der große Eisenbahnraub" erschien, wurde deutlich, dass auch in der veröffentlichten Meinung das Projekt Bahnprivatisierung zunehmend kritisch bewertet wird. Seither hatten Dutzende Artikel in Printmedien und mehrere Beiträge in Fernsehsendungen wie "Tagesthemen", "Monitor", "Frontal" und in der Anne Will-Talkshow eine ähnlich kritische Tendenz. Damit schlossen die führenden Medien zur in der Bevölkerung vorherrschenden Meinung auf: In zwei repräsentativen Umfragen von November 2006 (Emnid) und Juli 2007 (Forsa) sprachen sich jeweils zwei Drittel der Befragten für eine Bahn in öffentlichem Eigentum aus.

Damit besteht eine echte Chance, das nach der Treuhand-Abwicklung der DDR zweitgrößte Privatisierungsprojekt in der deutschen Geschichte zu Fall zu bringen. Ein solcher Erfolg ist durchaus Resultat einer Reihe widersprüchlicher Faktoren. Auch die Unternehmerverbände BDI und DIHK sprechen sich gegen das vorliegende Bahnprivatisierungsgesetz aus. Einzelne CDU-geführte Bundesländer, die ansonsten auf ihrem Terrain - so in Hessen die Regierung Koch-Riehl - eine brutale Privatisierungspolitik betreiben, leisten aus spezifischen Motiven Widerstand gegen den Gesetzentwurf aus dem Hause Tiefensee.

Allerdings wirkte bei all dem das Aktionsbündnis "Bahn für Alle" als maßgebliche Kraft. Dieses Bündnis war Anfang 2006 von einer eher kleinen Zahl politischer Gruppen - so von attac, BUND, der Bahnfachleutegruppe "Bürgerbahn statt Börsenbahn" und Robin Wood - ins Leben gerufen worden; Anfang 2007 schlossen sich die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di und Eurosolar an; vor wenigen Tagen traten die IG Metall und die Jungsozialisten bei.

Die drei Beispiele Flyer, Film und die Zahl "183" mögen die Wirksamkeit der Arbeit des Bündnisses dokumentieren.

Flyer: Am Beginn der Kampagne stand ein Flyer mit der Titelzeile "Ihr Reiseplan. Höchste Eisenbahn, stoppt die Börsenbahn". Er war bewusst als layout-identisches Plagiat der offiziellen Reisepläne, die in den Fernzügen (ICE, IC/EC) der Deutschen Bahn AG ausliegen, gestaltet worden. Er enthielt jedoch Text- und Bildmaterial, das sich gegen die Bahnprivatisierung richtet und das für eine Bürgerbahn in öffentlichem Eigentum plädiert. Der Flyer wurde inzwischen in einem halben Dutzend, jeweils aktualisierten Auflagen mehr als 250.000mal gedruckt, bestellt und - überwiegend in Zügen und Bahnhöfen - verteilt. Derzeit werden monatlich mehr als 30.000 Exemplare des Flyers bestellt. Obgleich die juristischen Chancen, Druck und Verbreitung des Flyers verbieten zu lassen, anfangs gut waren, entschloss sich das Bahnmanagement zum Stillhalten. Offensichtlich herrschte das Kalkül vor, die Kampagne werde personell und finanziell ausbluten. Würde nunmehr nach eineinhalb Jahren Verbreitung des Flyers doch noch versucht, gegen diesen juristisch vorzugehen, könnte sich das Bündnis Bahn für Alle gewissermaßen auf eine Art Gewohnheitsrecht berufen. Nach dem SPD-Parteitag wird es im übrigen eine weitere aktualisierte Flyer-Neuauflage geben (500 Exemplare, was einen mittelprächtig besetzten ICE abdeckt, kosten nur 25 Euro).

Film: Nachdem der NDR 2005 bei den Filmemachern Leslie Franke und Herdolor Lorenz ("Wasser unterm Hammer") einen kritischen Film zur Bahnprivatisierung in Auftrag gegeben, dieses Projekt aber alsbald wie eine heiße Kartoffel fallen gelassen hatte, wurde der Film unter dem Titel "Bahn unterm Hammer" dennoch gedreht. Gut tausend Spenderinnen und Spender und das Bündnis Bahn für Alle hatten das low budget-Kapital von rund 70.000 Euro zusammengebracht. Der Film hatte im März 2007 im ausverkauften Kino "Babylon" in Berlin Premiere. Er wird derzeit fast täglich an irgendeinem Ort der Republik - teilweise in Kinosälen, meist jedoch auf Veranstaltungen von Umweltgruppen, von Bahnfreunden und Globalisierungsgegnern - neu aufgeführt. Ausschnitte des Films gelangten in ein halbes Dutzend TV-Magazine und sogar in die "Tagesthemen". Eine Szene aus dem Film - sie wurde von dem Berliner Filmemacher Klaus Ihlau beigesteuert - wurde inzwischen mehrfach abgekupfert: Gezeigt wird zunächst ein blubbernder, von den Vorzügen der neuen Bahn schwärmender Bundesverkehrsminister. Es folgt ein Kameraschwank auf eine verödete Schienenlandschaft und auf den Bahnhof Tiefensee. Der Ort wurde 2005 vom Schienennetz abgehängt.

Die Zahl 183: Bis Sommer 2007 konnten die Bahnprivatisierer und alle führenden Medien landauf, landab verkünden, der Wert der gesamten Bahn läge bei 15 bis 20 Milliarden Euro. Diese Zahl wurde von scheinbar neutraler Seite, durch die Beratungsgesellschaft Booz Allen Hamilton, und durch das von dieser im Auftrag des Bundestags erstellte, 560 Seiten starke Gutachten "Privatisierungsvarianten der Deutschen Bahn AG mit und ohne Netz - PRIMON" dokumentiert. Bahn für Alle argumentierte seit Anfang 2006, der reale Wert der DB AG läge bei 150 bis 200 Milliarden Euro. Im Juli 2007 konkretisierten wir die Zahl mit 183 Milliarden Euro und dokumentierten, dass in der vom Bundesverkehrsministerium herausgegebenen jährlichen Statistik "Verkehr in Zahlen" und hier in der neuesten von Wolfgang Tiefensee eingeleiteten Ausgabe für das Jahr 2006/2007 auf Seite 39 das Bruttoanlagevermögen der Deutschen Bahn AG im Jahr 2005 mit 183 Milliarden Euro angegeben wird. Inzwischen wird die Zahl "183" von den maßgeblichen Medien und von Politikern aus allen im Bundestag vertretenen Parteien aufgegriffen. Die Frage "Warum soll der Bund ein Vermögen von 183 Milliarden Euro Wiederbeschaffungswert für ein Zehntel dieses Wert verschleudern?", beantwortete Bahnchef Mehdorn mit einem Verweis auf den Kölner Dom: Der sei auch sehr viel wert, habe aber einen äußerst geringen Ertragswert. Er blieb allerdings die Antwort auf die naheliegende Frage schuldig, warum die Katholische Kirche den Kölner Dom nicht verkauft und weshalb der Bund die Bahn dennoch verkaufen soll. Doch das ist nur eines von vielen Eigentoren, die der Bahnchef derzeit schießt.

Das bisher gezeichnete Bild ist natürlich zu schön, um wahr zu sein. Ein Raubzug mit einem Beutewert von 183 Milliarden Euro ist mit Lug, Trug und gegebenenfalls mit Gewalt verbunden. Aktuell gibt es zwei gefährliche Tendenzen, die die Privatisierer dennoch zum Erfolg führen könnten.
Da ist zunächst das neu in die Debatte eingeführte Projekt einer Volksaktienbahn. SPD-Linke wie Hermann Scheer und der Berliner Oberprivatisierer und Finanzsenator Thilo Sarrazin (SPD) haben ein Modell entwickelt, wonach bis zu 49,9 Prozent der Anteile des Bundes an der DB AG in Form von Volksaktien verkauft werden sollen. Die Volksaktionäre erhielten fünf Prozent Dividende garantiert. Es soll sich um stimmrechtslose Vorzugsaktien handeln, sodass der Bund mit seinen 50,1 Prozent der Anteile allein das Sagen behalten würde. Der Vorschlag ist im Konkreten mit vielen Fallstricken verbunden. Er sieht sich zudem der elementaren Frage gegenüber, warum das Volk eine Bahn, die ihm seit 1920 gehört, nochmals kaufen soll. Vor allem wird dieser Vorschlag just zu dem Zeitpunkt präsentiert, wo eine Mehrheit der SPD-Landesverbände Beschlüsse fasste, das Bahnprivatisierungsgesetz als solches abzulehnen. Prompt erklärt der Bundesverkehrsminister, selbst Anhänger einer solchen Volksaktienbahn zu sein.
Sodann gibt es einen erstaunlichen parlamentarischen Vorgang. Bis zum 18. September 2007 hatte es "nur" einen 105 Seiten starken Bahnprivatisierungs-Gesetzentwurf der Exekutive - seitens des Bundesverkehrsministers bzw. seitens der Regierung - gegeben. Bei dieser Konstellation hätte man eine spannende Debatte zwischen Exekutive und Legislative erwarten können. Doch am 18. September übernahmen die Fraktionen von CDU/CSU und SPD auf getrennten Fraktionssitzungen den 105-seitigen Gesetzesentwurf der Bundesregierung eins zu eins. Am 21. September wurde dieser Gesetzentwurf der beiden Regierungsparteien im Bundestag in erster Lesung - gerade mal 90 Minuten lang - diskutiert und an die Ausschüsse verwiesen. Im Bundestagsplenum erhielt der Privatisierungsgegner und MdB Hermann Scheer gerade mal zwei Minuten Redezeit, um in einer Kurzintervention eine nur punktuelle Kritik an dem Gesetzentwurf vorzubringen. Die Zustimmung der SPD zu dem Tiefensee-Gesetzentwurf war mit dem Volksaktienbahn-Modell erkauft worden. Man werde, so die SPD-Linken, rechtzeitig zur 2. und 3. Lesung des Gesetzes Abänderungsanträge in Richtung Volksaktienbahn einbringen. In der Fraktion der CDU/CSU wurde ein Forderungskatalog verabschiedet, der das Bahnprivatisierungsgesetz modifizieren soll. Während die SPD-Fraktion dem Gesetzentwurf ohne Gegenstimmen zustimmte, gab es in der CDU/CSU-Fraktion immerhin bis zu 30 Gegenstimmen und eine artikulierte Kritik, deren Sprecher der CDU-MdB Norbert Königshofen ist.
Es besteht damit die ernsthafte Gefahr, dass der Gesetzesentwurf, nach einer Abkühlungspause während der Wahlkämpfe in Hessen und Niedersachsen seinen Weg durch die Beratungen in den Ausschüssen findet, dass die Kritiker im Parlament teilweise ermüden, teilweise mit einigen Bonbons à la Volksaktienbahn besänftigt werden und dass eine abschließende zweite und dritte Lesung des Gesetzentwurfs kurzfristig an pfiffig ausgewählten Zeitpunkten - etwa an Ostern 2008 oder vor der Sommerpause 2008 - anberaumt und dann das Projekt durchgezogen wird.
Doch auch "Bahn für Alle" bleibt am Zug.

Erstmals erschienen in "Freitag", Oktober 2007

Winfried Wolf ist Sprecher der Bahnfachleutegruppe Bürgerbahn statt Börsenbahn, aktiv im Bündnis Bahn für Alle. Von ihm erschien vor wenigen Tagen das Buch Verkehr. Umwelt. Klima: Die Globalisierung des Tempowahns (498 Seiten / Promedia Wien, 34,90 Euro). Infos zur Kampagne unter www.bahn-fuer-alle.de und www.deinebahn.de