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Chancengleichheit

  • Dienstag, 13. Juni 2006 @ 19:30
Schulprobleme Kennen Sie den? Es standen einmal ein Esel, eine Biene und ein Schimpanse vor einem großen Baum. Vor ihnen warf sich ein Lehrer mit dem unbeteiligten Gesichtsausdruck eines Schiedsrichters in Position und sagte: "Um der Gerechtigkeit der Auslese willen, ist die Prüfungsaufgabe für euch drei die gleiche! Sie lautet: klettere auf den Baum!"

Die meisten von Ihnen, geschätzte Leserinnen und Leser, werden jetzt vermutlich schmunzeln, zumindest diejenigen, deren Kinder ein positives Jahreszeugnis zustande gebracht haben. Den anderen ist das Lächeln vergangen. Man weiß ja, dass es für die Zukunft der eigenen Kinder, denen man ja nur Gutes will, ganz und gar nicht von Vorteil ist, sich zu jener noch aus dem Vorjahr stammenden Gruppe gesellen zu müssen, die noch immer keine Lehrstelle gefunden hat - noch dazu mit einem Jahreszeugnis mit einem oder mehreren Fünfern. Sowohl den vielleicht noch pubertierenden Jungen, als auch den mitfühlenden Eltern wird jetzt klar, dass der Zug wohl ohne sie abgefahren ist, dass die Chance verpasst ist. Und das ist nicht lustig!

Gewiss, ganz überraschend ist es ja nicht gekommen. Der/Die Kleine hatte ja schon seit einiger Zeit größere Schwierigkeiten in Mathematik, in Deutsch oder in Englisch. Und als Sie zum Gespräch mit dem Lehrer in die Schule geladen wurden, war Ihnen überhaupt nicht wohl zumute; da war der ungünstige Zeitpunkt, für den das Zusammentreffen anberaumt war; da war das komische Gefühl, dass Sie trotz Ihres Vorsatzes, immer betont höflich bleiben zu wollen, das nicht vollständig durchgehalten haben, oder, wenn Sie das doch geschafft haben, dass es trotzdem nicht viel genützt hat, weil Sie den Eindruck nicht loswerden konnten, dass weit vor dem Zeugnis bereits feststand, dass Ihre Tochter oder Ihr Sohn eigentlich keine Chance mehr hatte. Vielleicht saßen Sie sogar einem Lehrer gegenüber, der behauptet hat, dass ihm das leid täte. Und ob das glaubwürdig war oder nicht, ist jetzt auch schon wurscht.

Ich kann Ihnen hier nicht helfen. Wirklich gemein finde ich dabei das Verwirrspiel, das mit dem Wort von der Chancengleichheit mit Ihnen da getrieben wird. Eine Gewinnchance hat man vielleicht bei einem Hundertmeterlauf. Den wird man so auszurichten versuchen, dass alle die Chance haben, ihn zu gewinnen, aber ganz entscheidend für seine Sinnhaftigkeit ist, dass n i c h t alle gleichzeitig ankommen! Wenn es hier (nur) Chancengleichheit geben soll, dann ist beim Hundertmeterlauf ja klar, dass es unbedingt Ungleichheit geben soll und muss, weil sonst der Wettbewerb doch keinen Sinn ergibt. Jeder von Ihnen weiß das, wenn man im Fernsehen so einen Leichtathletikbewerb verfolgt. Manche der Teilnehmer haben da eben von vornherein keine Gewinnchance. Beim Sport stört mich das auch nicht, beim Bildungserwerb aber stört es mich gehörig. Und jetzt, wo Sie feststellen müssen, dass Sie und Ihr Kind bei den Verlierern sind, hoffentlich Sie auch.

Und dennoch werden Sie bei sämtliche Parlamentsparteien immer nur Bekenntnisse zur Aufrechterhaltung von Chancengleichheit (ÖVP, FPÖ, BZÖ) oder zur Verbesserung von Chancengleichheit (SPÖ, Grüne) finden. Folgen wir einmal der zweiten Gruppe! Nehmen wir an, die Chancengleichheit sei wirklich noch nicht ideal verwirklicht! Die Chancen verschiedener Bevölkerungsgruppen auf Bildung sind ungleich und wir bekennen uns zum Rechtsanspruch auf Gleichheit der Chancen und wir setzen den auch durch. Das Ergebnis wäre nichts anderes, als dass die Einlösung des erwähnten Rechtsanspruches wieder eineAngelegenheit des einzelnen Wettbewerbers wäre. Logischerweise kämen da wieder nur ein Gewinner und viele Verlierer heraus.

Seine Chance nützen zu dürfen, verspricht keinen leichteren oder schnelleren Erfolg, im Gegenteil! Hier könnte man natürlich auf den Gedanken kommen, dass der Rechtsanspruch auf Chancengleichheit die Trainingsbereitschaft erhöhte und dadurch neue Schichten von bisher benachteiligten Personen an der Bildung beteiligt werden würden. Vielleicht, ja. Damit wird dann das Begabungspotential der Österreicher/innen ausgeschöpft - für "unsere" Wirtschaft. Komisch, diesen Nutzungs- und Benützungsgedanken hatte ich bisher nur der ÖVP-FPÖBZÖTruppe unterstellt. Jetzt ergibt er sich logisch auch für die SPÖGrüne-Gruppe.
Das verschärft aber nur die Konkurrenz, löst nicht das Verliererproblem und die Aussicht auf Erfolg für den Einzelnen wird bloß geringer. Um beim Hundertmeterlauf zu bleiben: bei 20 Wettbewerbern liefert das wiederum exakt 19 Verlierer und 1 Gewinner, auch wenn der/die Zwanzigste jetzt vielleicht ein bisschen schneller sein muss.

Bleibt noch die Frage, warum allen Parlamentsparteien dieses System so widerspruchsfrei am Herzen liegt. Dabei ist auffällig, dass die Forderung nach Chancengleichheit in der Bildung die Anspruchshaltung der Teilnehmer begrenzt. Denn jeder sieht die Wahrnehmung seiner Chancen (Gewinner) bzw. die Nichtnutzung dieser (Verlierer) als persönliches, privates Risiko. Man ist dann irgendwie doch immer auch ein bisschen selber schuld. Unter welchen Umständen man welche Leistung auch immer erbracht hat, sie begründet keine Ansprüche mehr für den besseren Arbeitsplatz, mehr Lohn, besseres Essen oder schöneres Wohnen.

Die Erfüllbarkeit solcher Ansprüche hängen vom Wert der erreichten Bildungsabschlüsse und Qualifikationen ab. Das stimmt, ist aber nichts Neues für unsere Verlierer, um die wir uns Sorgen gemacht haben oder sollte ich besser sagen, um die wir Sorge vorgetäuscht haben? Mein Vorschlag also: schaffen wir erst einmal das Gerede von "Chancengleichheit" in der Bildung ab; das Schulleben, aber nicht nur dieses, wäre erst dann wieder den Kindern und ihrer Entwicklung förderlich und zuträglich. Und bei dieser Gelegenheit schaffen wir auch gleich die "Chancengleichheit" beim Wettbewerb um einen Arbeitsplatz ab.

Aber das - ist eine andere Geschichte.