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Das Projekt Berresgasse und sein Bildungscampus.

  • Freitag, 3. Januar 2020 @ 15:01
Brief eines Lehrers - von Karl Gugler

Ein weiteres Großprojekt der Stadt Wien ist in Bau.

Zwischen Badeteich Hirschstetten und der Hausfeldstraße nördlich der Quadensiedlung entstehen auf 1700 ha 3000 Wohnungen mit angeschlossenem Bildungscampus. Letzterer hat gerade seinen Betrieb aufgenommen.

Die Hardware …

Offenbar wurde nicht gespart – diesen Eindruck gewinnt man, wenn man sich mit den Details dieses Projekts vertraut macht: nicht bei der Architektur des Gesamtprojektes und auch nicht bei der Ausstattung der Einzelteile des Campus. Kindergarten, Vor-, Volks- und Mittelschule erhielten gute Bausubstanz auf einem weitläufigen Grundstück und gute technische Ausstattung. Man könnte meinen, das „Rote Wien“ bäume sich auf und wolle beweisen, dass ihm das Wohnen und die Bildung – wie in vergangenen Zeiten – sehr am Herzen liegt.

… und die Software.

Jetzt kommt es auf die Menschen an, die die Baulichkeiten in Betrieb nehmen. Nahe liegend ist sofort der Gedanke an Otto Glöckel und seine „Wiener Schulreform“, also der Gedanke an die Gesamtschule, an demokratischen Erziehungsstil, an die Arbeitsschule, an Gesamtunterricht mit innerer Differenzierung, an Bodenständigkeit und das damit erreichbare Gemeinschaftsgefühl (gemäß den Lehren von Alfred Adler). Wie wohltuend das klingt, wenn man in Glöckels „Feststellungen im Kampfe gegen die Schulverderber“ stöbert, in denen er die „Drillschule“ auseinander nimmt und durch das Neue und Gute – das Miteinander – ersetzt.

Ich fürchte, da wird es jetzt eng.

Die Zeiten haben sich gravierend geändert. Der gemeinsame Schulort in Form eines Bildungscampus, den man vom Kind-Sein bis zum Erwachsenenalter besucht, mag Mitmenschen, die die Konkurrenzgesellschaft nicht mögen, beeindrucken. Er ist oder war auch eine tolle Idee. Aber diese Idee ist nur noch eine Hülse, ist sinnentleert, ist von gestern. Sie ist gestorben mit dem Sieg des Kapitalismus.

In den Zeiten von Bruno Kreisky sollte die Schule ein Ort sein, an dem ein Kind in Ruhe heranreifen, sein Ich entwickeln können sollte. Das Schlagwort von der „Kritikfähigkeit“ ist mir noch in Erinnerung. Jetzt ist die Zeit eine andere. Wettkampf und Konkurrenz sind angesagt. Das so zu nennen ist natürlich politisch unkorrekt, nein, man nennt es „Talente-Check“ oder Zentralmatura oder wie auch immer. Die „Schüler schleimen wieder um die Wette“ (frei nach Konstantin Wecker) und sollen/müssen das jetzt auch. Die „Drillschule“ ist wieder da. Jeder Insider (und so mancher Elternteil) merkt das. Es wird nachgeholfen, oh pardon, politisch korrekt: gecoached, was das Zeug hält. Zustände, wie in Korea, wo man Kinder in fast allen Zeiträumen außerhalb des Unterrichts ständig weiter drillt, damit sie erfolgreich sind. Denn die Konkurrenz gewinnt nur der, der ständig büffelt. Und durch die kollektive Büffelei verspricht sich der jeweilige Nationalstaat, dass er jene Humanressourcen aus seinem menschlichen Individuenbestand herausholt, mit denen er in der Konkurrenz der (allesamt kapitalistischen) Wirtschaftsblöcke obsiegt. Ist das nicht ekelhaft? Ja, schon – aber die Realität! So sagen es mir die Eltern immer wieder. Keine schönen Aussichten für Otto Glöckel und den Schulcampus Berresgasse. Es wird wohl jetzt zunächst nötig sein, beherzte und talentierte Kämpfer/innen für die Schulreformideen des Herrn Glöckel für die Volks- und Mittelschule dort zu finden. Auf das Ergebnis der Auswahl der jeweiligen Schulleiterpersönlichkeit bin ich gespannt; auf das Lehrer/innenteam, das er zusammenstellt, auch. Der Kampf um die Glöckel-Ideen, der scheint mir aber bereits verloren zu sein.

Mit freundlichen Grüßen
Karl GUGLER