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Wer nicht vorkommt

  • Samstag, 16. März 2019 @ 14:57
Hilde Grammel blickt in der Seestadt hinter die Kulissen

Die Seestadt ist in vielerlei Hinsicht ein Pionierprojekt: eine völlig neue Stadt mit eigenem Mobilitätskonzept, die die Bewohner*innen zur Einbringung von Ideen einlädt, eine Smart City, ausgestattet mit einer eigenen Firma, die den Energieverbrauch beforscht und dessen Optimierung anstrebt, eine Stadtrandsiedlung, die die Erholungsbedürfnisse der Bewohner*innen miteinplant, mit einem Wort, ein Wiener Vorzeigeprojekt internationalen Ranges. Entsprechend auf Hochtouren laufen die Werbe- und PR-Trommeln, damit die Bewohner*innen wissen, was alles zu ihrem Wohle getan wird und Investoren von der Attraktivität des Standorts überzeugt werden.Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Es wird tatsächlich viel getan.

Alles in allem sollen bis Ende des nächsten Jahrzehnts 20.000 Menschen in der Seestadt wohnen und annähernd ebenso viele einen Arbeitsplatz finden. Dafür wurden und werden Tausende Quadratmeter ehemals landwirtschaftlich genutzten Bodens versiegelt und verbaut.

Großprojekt mit Arbeitern aus allen Teilen der Welt

Die Bauarbeiter, die Quartier um Quartier der Seestadt errichten, stammen aus allen Teilen der Welt, zumeist aus dem ehemaligen Osteuropa, und Bewohner*innen begegnen ihnen nur beim Einkauf im bisher einzigen Supermarkt. Ob überhaupt und, wenn ja, welche Arbeitsrechte für sie gelten, ist der Homepage der „Wien 3420 aspern Development AG“ nicht zu entnehmen und auch nicht, ob sich überhaupt irgendjemand für diesen Aspekt der Stadterweiterung interessiert, er gehört anscheinend nicht zur Qualitätssicherung. In den Medien finden sich zwar gelegentlich Meldungen über verletzte oder abgestürzte Männer, aber ob auch Fälle beim Arbeitsgericht anhängig sind, wird der Öffentlichkeit nicht kundgetan.

Im Mai vergangenen Jahres wurde kurze Zeit sehr lautstark der Hoffnung, auch des – damals noch designierten – Bürgermeisters, Ausdruck verliehen, dass die geplante EU-Arbeitsmarktbehörde sich in der Seestadt ansiedeln könnte, doch ist es um diese Idee wieder ruhig geworden. Aufgabe dieser Behörde soll die Ahndung grenzüberschreitenden Lohndumpings sein. Derzeit kann Sozialdumping in Österreich zwar festgestellt werden, doch die Unternehmen aus dem EU-Ausland, die kurzzeitig hierher entsendete Arbeitskräfte nicht ortsüblich entlohnen, können de facto nicht abgestraft werden. Österreich ist aufgrund seiner Nähe zu osteuropäischen Ländern, in denen ein Bruchteil der hierzulande üblichen Gehälter gezahlt wird, ein Hotspot für Lohn- und Sozialdumping.

Immerhin kennt der ÖGB die Sozialdumping-Quote am Bau:

Diese beträgt bei Entsendungen im Schnitt 44,5% (2017), aber nur 0,95% bei inländischen Firmen. „Das heißt, fast jedes zweite Entsendeunternehmen, das aus Europa kommt, zahlt den Arbeitnehmern den falschen Lohn", erläutert dazu SPÖ-Sozialsprecher und Baugewerkschafter Josef Muchitsch. (siehe Die Presse vom 07.05.2018 - Hier klicken!) Es wäre also ein Wunder, wenn in der Seestadt andere Gepflogenheiten gelten würden.

Jedenfalls scheint man es in der EU nicht eilig zu haben, eine solche Behörde zu installieren, weder in der Seestadt noch anderswo. Kann gut sein, dass die Bauarbeiter der Seestadt schon wieder zu ihrem nächsten Einsatzort weitergezogen sind, bis es so weit ist. Prioritäten sehen anders aus!

Hilde Grammel, wohnt in der Seestadt 1) siehe: https://diepresse.com/home/ausland/eu/5418858/Neue-EUBehoerde-mit-Sitz-in-der-Seestadt