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The United States of Emergency – 2013.Eine Bestandsaufnahme

  • Sonntag, 23. Februar 2014 @ 16:09
Willi Trimmel (2. verbesserte Ausgabe)

Spätestens seit dem Anschlag auf die Wolkenkratzer des World-Trade-Centres in NY vom 11. 9. 2001 befinden sich die USA in einem permanenten Ausnahmezustand.

Vor dem Hintergrund eines ebenso permanenten Krieges gegen nebulose äußere Feinde, im Kampf gegen den Terror, wo immer er sich zeigt, findet der verstetigte Ausnahmestaat gleichsam zu sich: demokratische Strukturen werden im Namen innerer Sicherheit eingeschränkt, individuelle Freiheitsrechte unterlaufen oder annulliert, Menschen mutwillig verhaftet, verschleppt, gefoltert, auf unbestimmte Zeit eingesperrt oder ermordet – dies alles im Namen der Verteidigung unserer „westlichen Werte“, der Demokratie schlechthin.

Sondergerichte (FISA), Sondermilitärgerichte (Guantanamo) und weitestgehende Vollmachten für Exekutivorgane, die im direkten Widerspruch zu den verfassungsmäßig garantierten Grundrechten stehen, alles das und noch vieles mehr läuft darauf hinaus, ein Quasirecht unterhalb und neben der bestehenden Rechtsordnung zu schaffen, die Wirksamkeit demokratischer Kontrolle nachhaltig zu untergraben, die Exekutive zu stärken, Parlament und Jurisprudenz zu marginalisieren bzw. für Grundprinzipien demokratischer Verfassung widersprechende Zwecke zu instrumentalisieren.

Seit 9/11 präsentierte sich G. W. Bush als „commander in chief“, der alles Nötige unternehmen werde, um sein Land zu schützen- ob in Afghanistan, Pakistan oder Irak. Die Zeit des Redens, hieß es damals, sei vorbei – jetzt gelte es zu handeln….

Dies also war der „Stand der Dinge“ von 2006 (Le Monde diplomatique, 15. 9. 2006), und es stellt sich

(1) die grundsätzliche Frage, wie dieser Ausnahmezustand sich seit damals (etwa 2006) weiter entwickelt hat (kann man von einer neuen Qualität des US- Sicherheitsstaates von heute, im Vergleich zu 2001, 2006 sprechen? Wenn ja, welche Qualität, wie ist die festzumachen?) Arbeitshypothese: seit Mitte der Nullerjahre hat sich der SicherheitsstaatUS-amerikanischer Prägung erweitert und vertieft:neben dem äußeren Feind wird nun auch dem inneren Feind größtes Augenmerk geschenkt: der Prism/NSA Skandal wirft ein grelles Licht auf die ungeheure Expansion von Überwachungssystemen, die die gesamte Bevölkerung unter Generalverdacht stellt.Zusatz: die Präsidentschaft Obamas hat zur Erweiterung und Institutionalisierung der Operationsfelder und Praktiken im Äußeren wie im Inneren geführt: cyber war (gegen Iran) und die Erweiterung der shoot-to-kill policy (Drohnenkrieg) auch auf US-Bürger im Ausland, siehe Maulkorberlasse, (die z.B. vom FBI gegen jeden beliebigen Bürgerohne richterliche Genehmigung verhängt werden können.)

(2) Eine weitere Frage betrifft den Ausnahmezustand selbst, genauer den Ausnahmezustand in Permanenz: eine permanente Ausnahme ist ein Widerspruch in sich selbst: worum es sich hier handelt, so meine Arbeitshypothese, ist der permanente Ausnahmezustand als Technik des Regierens: „… entsprechend der gegenwärtigen Tendenz in allen westlichen Demokratien wird die Erklärung des Ausnahmezustands zunehmend ersetzt durch eine beispiellose Ausweitung des Sicherheitsparadigmas als normaler Technik des Regierens.“ (Agamben, 22, Naomi Klein, Shock Doctrine)

(3) Wenn Notverordnungen, Sondergerichte, etc, exzessiv eingesetzt werden, die bestehende Rechtsordnung unterlaufen wird, wie kann man dann den Status der rechtlichen Anomalie – der Verrechtlichung des Unrechts einordnen? Sind diese Sonderrechte außerhalb des Rechts stehend? Weshalb werden sie aber dann immer in rechtlichen Begriffen erfasst? Befinden sie sich hingegen außerhalb der Rechtsordnung, wie will man dann – in welchen Begriffen – dieses „Niemandsland zwischen Öffentlichem Recht und politischer Faktizität“ bestimmen? (Agamben) . Arbeitshypothese:Agamben (35) „Der moderne Ausnahmezustand ist … der Versuch, die Ausnahme in die Rechtsordnung selbst einzuschießen, und zwar durch die Schaffung einer Zone der Unbestimmtheit, in der Tatsache und Recht zusammenfallen.“

4) Sollte unsere Arbeitshypothese stimmen, dass auf der Basis einer Verstetigung des Ausnahmezustands in modernen westlichen Gesellschaften – der permanente Ausnahmezustand zu einer Technik des Regierens sich entwickelt, also in erster Linie eine Frage der Machttechnik ist, stimmen: wie bestimmen wir dann diesen Staat: Arbeitshypothese: die Ausbreitung des Sicherheitsstaates mit Ausnahmeregulativ führt nicht eo ipso in die Diktatur oder in ein totalitäresRegime –weder im faschistischen Italien, noch im deutschen NS-Regime wurde die vormals bestehende Verfassung außer Kraft gesetzt, vielmehr wurde den Rechtsordnungen eine „rechtlich oft nicht formalisierte zweite Struktur zur Seite gestellt … „ (siehe Agamben, der „Doppelstaat“). Man würde also, der formalrechtlichen Entwickung Deutschlands und Italiens bis 1945 (bzw. 1944) folgend, vergeblich den Punkt suchen, an dem demokratisch verfasste Systeme in die Diktatur kippten. (Übrigens: sowohl Mussolini, als auch Hitler waren formalrechtlich keine Diktatoren, sondern legitimer Regierungschef, bzw. Kanzler)

Arbeitshypothese: es ist nicht sinnvoll, die gegenwärtige Entwicklung des Sicherheitsstaates nach dem Schema Demokratie oder Diktatur zu thematisieren: weder wurden die formalrechtlichen Aspekte der US-amerikanischen Demokratie grundsätzlich außer Kraft gesetzt, noch wurde die Verfassung mit ihren Freiheitsrechten und Garantien zum Schutz der Persönlichkeit per se abgeschafft.

Zusatz:umso wichtiger ist es daher, die aktuellen Kräfteverhältnisse im zeitgenössischen Sicherheitsstaat exakt zu bestimmen, die Mechanismen der Machtausübung, sowie die Machteffekte, die von diversen Bestimmungen und Verfahren der Macht ausgehen, zu erfassen, sich die Frage zu stellen, wie weit der „Doppelstaat“ (Agamben, siehe oben) bereits gediehen ist und wie er genau beschaffen ist. Es geht vor allem auch darum, die Dynamik des Sicherheitsstaates auf den Punkt zu bringen, daher ….

5) Zur Dynamik der US-Securocratie: darunter vertehe ich ein System, in dem vor allem drei Komponenten durch ihr Zusammenspiel eine beunruhigende Dynamik entwickeln:

PLUTOKRATIE - SICHERHEITSPARADIGMA - SICHERHEITSSTAAT

Plutokratie, verstanden als die Herrschaft des Vermögens, hat eine lange Tradition in Corporate America. Ihr verdanken wir extreme Ungleichheit in der Vermögensverteilung, minimale soziale Mobilität, den de facto Ausschluss von 70% der Bevölkerung aus dem politischen Diskurs, die Aushöhlung sozialer Dienstleistungen, die Privatisierung von vormals staatlichen Agenden und Dienstleistungen, die Abschaffung von Gesetzen, die einer Verquickung von Investmentbanking und gewöhnlichen Kreditbanking, oder der cross-media ownership einen Riegel vorschoben, was durch das Lobbysystem und die zunehmende Verquickung von Staat und Konzernen ermöglicht und vorangetrieben wurde: die neoliberale Antistaatsrhetorik spielt hier eine gewichtige Rolle, indem sie das Dogma von „Markt ist gut, Staat ist schlecht“ unentwegt bemüht, und umstandslos auf den Sicherheitsstaat überträgt.

Securocratie ist die plutokratische Herrschaft einer verschwindenden Minderheit, die über die Ökonomisierung von „Sicherheit“sich definiert: die Rolle des (Sicherheits-)staates bestand (spätestens seit 2001) und besteht in erster Linie darin, den Staat selbst, d. h. die Kernbereiche, wie die Armee, die Geheimdienste, etc. durch outsourcing dem privaten Sektor zuzuführen. Alles, was sich privatisieren läßt, das muss auch privatisiert werden: catering, ärztliche Versorgung im Feld, Infrastrukturprojekte, Informationstechnologie – hardware und software, data-collecting, data-mining, etc. Edward Snowden war einer von 200 000 Angestellten privaterKonzerne, die für den Nachrichtendienst NSA „sensitives Material“ routinemäßig bearbeiten.

Es liegt auf der Hand, dass aus dieser Konstellation heraus unter dem Vorwand von Bedrohungen vom Staat neue Sicherheitsvorkehrungen gefordert und dann vom privaten Sektor gegen Gewinn angeboten werden: siehe das Scanning von Passagieren auf Flughäfen (auf Grund eines lächerlichen Anlasses – der Schuhbomber), siehe das unglaubliche Anwachsen der Gefängnispopulation im teilprivatisierten US-Gefängnissystem – die ständige Verschärfung strafrechtlicher Bestimmungen (threestrikesandyouare out,….). Man bedenke auch, dass die hier angedeutete Dynamik der Securocratie – im Namen der Sicherheit Amerikas –nur deshalb so umstandslos von der Hand geht, weil der Sicherheits-Boom in der US-Wirtschaft aus öffentlichen Geldern gespeist wird. Konzerne, die noch vor 20 Jahren in der Informationsrevolution das große Geld machten, bieten nun dem Sicherheitsstaat ihre Dienste an.

Was sich hier abzeichnet, das ist ein System struktureller Gewalt, das in seiner Dynamik kaum je öffentlich verhandelt wird: „… a mergeroftheshoppingmallandthesecretprison. When information about who is or is not a security threat is a product to be sold ..it changes the values of a culture. Not only does it create an incentive to spy, torture and generate false information but it creates a powerful impetus to perpetuate the fear and sense of peril that created the industry in the first place.” (Naomi Klein, The Shock Doctrine, 306).

Willi Trimmel 28. 8. 2013