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Wer läutet draußen an der Tür

  • Samstag, 28. Januar 2012 @ 12:07
Kaktus-Archiv Zum 115. Geburtstag von Theodor Kramer.

Biographische Skizzen und gesungene Gedichte zum 115. Geburtstag von Theodor Kramer mit Andi Pecha und Ernst Toman -

Dazu ladet die überparteilchte Friedensinitiative 22 bei ihrem nächsten Treffen am Dienstag, 14.Februar (Beginn 19:00) in die Donaucitykirche, 1220, Donaucitystraße 2 (U1-Kaisermühlen), ein.

Theodor Kramer, nach dem auch eine Straße und eine Schule im Bezirk (AHS Theodor- Kramerstrasse in der Rennbahnsiedlung) benannt ist, wurde am 1. 1. 1887 in Niederhollabrunn geboren und verbrachte einen Teil seines Lebens in Wien.

Er ist ein viel zu wenig bekannter Dichter, der über die einfachen Menschen, Außenseiter und Menschen am Rande der Gesellschaft schrieb.

"Der 1.Weltkrieg raubte ihm seine Jugend, der Nationalsozialismus seine Heimat und Existenz,..."

Der Journalist Cornelius Hell schrieb über ihn und sein Leben: „ Der 1. Weltkrieg raubte ihm seine Jugend, der Nationalsozialismus seine Heimat und Existenz, das Klima der Nachkriegszeit den einstigen Erfolg.“

Eine seiner ersten Gedichtssammlungen heißt: „Wir lagen in Wolhynien im Morast“. Wolhynien ist eine historische Landschaft im Nordwesten der Ukraine, wo Kramer ab 1915 zum Kriegsdienst gezwungen und im Juni 1916 schwerstens verwundet wurde. An den Spätfolgen seiner Verletzung hatte er noch lange nach dem Ende des Krieges zu leiden. Gedichte wie „Der Dornenwald“ und „Zerstörtes Land“ geben seine Eindrücke und Erlebnisse im 1. Weltkrieg wieder.

DER DORNENWALD

Es zieht ein Dornenwald sich eben
vor Olyka zerklüftet hin;
noch rosten Saum an Saum die Gräben,
die sich beschossen über ihn.
Wie die Granaten hoch sie streckten,
stehn noch die Wurzelstrünke da;
grün ranken sich die Brombeerhecken
im Dornenwald vor Olyka.

Die Äste stehn zu Lehm gebacken;
die Ruten treiben frisch und kraus;
sie kommen aus dem Dorf und hacken
die Knochen samt den Knöpfen aus.
Die Kinder sammeln sie in Säcken,
des Messings Glanz geht ihnen nah;
grün ranken sich die Brombeerhecken
im Dornenwald vor Olyka.

Im Sand verbiegen sich die Spaten,
noch gehen die blinden Zünder los;
wir träumen, Kamerad, und waten
bis zu den Knöcheln tief in Moos.
Der Rasen nicht, die Lüfte decken
für uns mit Taubheit, was geschah;
grün ranken sich die Brombeerhecken
im Dornenwald vor Oyka.

Eintrag in die „Liste des schädlichen und unerwünschten Schrifttums“

Nach dem 1. Weltkrieg musste er sein begonnenes Studium aus finanziellen Gründen aufgeben und als Buchhändler, Verlagsangestellter oder Statistischer Beamter arbeiten (bis 1931).

Sein dichterisches Wirken ging aber weiter. So wurden seine ersten Gedichte unter anderem in der „Arbeiter Zeitung“ und im „Simplicissimus“ veröffentlicht. Sein Gedichtsband „Die Gaunerzinke“ fand große Beachtung durch die Literaturkritik. Er war Mitglied der „Vereinigung sozialdemokratischer Schriftsteller“, wie auch - unter anderen - Josef Luitpold Stern, Oskar Maria Graf und Fritz Brügel.

Seine politischen Texte und sein Engagement brachten ihm, in der Dollfuß- und Schuschnigg-Zeit, einen Eintrag in die „Liste des schädlichen und unerwünschten Schrifttums“ ein, was einem Veröffentlichungs- und Arbeitsverbot gleich kam (1934). Als nunmehr freier Schriftsteller wurde er von Freunden wie Fritz Hochwälder, Paula Preradovic und Viktor Matejka finanziell unterstützt. Letzterer „erfand“ auch den „Kramer-Schilling“, der bei privaten Lesungen eingehoben wurde. Trotz alledem: Sein umfangreichster Gedichtsband „Mit der Ziehharmonika“ sicherte ihm als Dichter über Not, Armut und Ausgrenzung in Stadt und Land, einen festen Platz in der österreichischen Literaturgeschichte. Gedichte wie „Fronleichnam, Wien 1939“, „Franz“, „Ich bin so viel Zuhaus….“ und „Wer läutet draußen an der Tür?“ stammen aus dem Bändchen „Verbannt aus Österreich“ , das erstmals 1943 in London erschien.

WER LÄUTET DRAUSSEN AN DER TÜR?

Wer läutet draussen an der Tür,
kaum dass es sich erhellt?
Ich geh schon, Schatz. Der Bub hat nur
die Semmeln hingestellt.

Wer läutet draussen an der Tür?
Bleib nur; ich geh, mein Kind.
Es war ein Mann; der fragte an
beim Nachbar, wer wir sind.

Wer läutet draussen an der Tür?
Lass, Schatz, die Wanne voll.
Die Post war da; der Brief ist nicht
dabei, der kommen soll.

Wer läutet draussen an der Tür?
Leg du die Betten aus.
Der Hausbesorger war’s; wir soll’n
am Ersten aus dem Haus.

Wer läutet draussen an der Tür?
Die Fuchsien blühn so nah.
Pack, Liebste, mir mein Waschzeug ein
und wein’ nicht: sie sind da.

In der Emigration "sicher aber nicht glücklich"

Als Sozialdemokrat, Jude und verbotener Dichter musste er 1939 Österreich verlassen. Unter großen Schwierigkeiten gelangte er nach England, wo er zwar 1940 – 1941 als feindlicher Ausländer interniert war, dann aber 1951 die britische Staatsbürgerschaft erhielt.

Das Gedicht „Was soll ich dir denn schreiben“ ist ein Brief aus dem Lager. WAS SOLL ICH DIR DENN SCHREIBEN Was soll ich dir denn schreiben,
ich komm vom Flur-Aufreiben
in meinem blauen Schurz;
es sind, um zu verweilen,
die vierundzwanzig Zeilen,
dir mir nur zustehn, viel zu kurz.

Ich brauch ein Hemd, ein Kissen,
und Schuh’; ich lass dich wissen,
was ankam, was ich schrieb.
Kein Zensor, der die Tinten
durchliest von vorn und hinten,
soll lesen, dass ich dich noch lieb’.

Nichts von der kahlen Stube,
nichts von des Strohsacks Grube ...
vorm Fenster glänzt der Kies;
der Ginster blüht im Gatter,
doch nie stockt das Geschnatter
der alten Leute vom release.

Der Staub schleift durch die Gassen;
würd, Schatz, ich heut entlassen,
mir bangte früh und spät,
du wärst in deiner Süsse,
Mund, Wangen, Brüst’ und Füsse,
mit Staub und Stacheldraht besät.

Beim Schreiben und beim Essen
und Schreiten einst, vergessen
werd ich es nie und nie,
dass man die Kameraden,
die besten, mir verladen
auf Loren hat wie Stücker Vieh.

Der Bogen geht zu Ende,
es zittern mir die Hände,
zerflossen ist die Schrift;
versuch, mich zu besuchen,
wir haben morgen Kuchen,
wenn man mich nicht vor Früh verschifft.

In England war er zwar, wie viele Emigranten, sicher, aber sicher nicht glücklich. Das drückte er mit „Ich möchte nicht alt werden hier“ aus.

ICH MÖCHTE NICHT ALT WERDEN HIER

Wann aber mein Haar einmal schloh wird,
was soll mit mir Fremden gescheh’n,
der heut hierzuland schon nicht froh wird;
zu wem soll aufs Alter ich gehn.
Man hat über manchen gesprochen,
doch wer schon wird seh’n hier nach mir
und wird mir was Leichtes mal kochen;
ich möchte nicht alt werden hier.

Lasst besser mich denken: was machen,
was freut sonst im Alter die Leut’;
sie gehn gerne durch ihre Sachen;
mir sind sie verbrannt und verstreut.
Sie sehn ihre alten Genossen:
daheim weil’n die ältesten mir,
voraus sind mir andre geflossen …
ich möchte nicht alt werden hier.

Wer kann mich schon wirklich hier leiden
und wird mich zum Strohmandeln hol’n;

ich hab keine Hecke zu schneiden,
ich hab keinen Grund zu rigol’n.
Zu schwer ist der Wein und zu teuer,
zu bitter das leidige Bier,
mich fröstelt schon heut hier beim Feuer;
ich möchte nicht alt werden hier.

Er war Vorstandsmitglied des österr. Exil-Pen-Clubs und in engem Kontakt mit Kollegen wie Elias Canetti, Erich Fried und Hilde Spiel. Sie alle verband auch die Hoffnung auf Zerschlagung des Faschismus und auf Frieden, was auch in dem Gedicht „Wir haben nicht Zeit“ zum Ausdruck kommt. Erst nach langem Drängen seiner Freunde kehrte er 1957 nach Österreich zurück, wo er unglücklich und wenig beachtet am 3. April 1958 starb. Zuvor hatte ihm die Stadt Wien noch eine Ehrenpension und danach posthum den Literaturpreis zuerkannt. Erst 1990 erhielt er ein Ehrengrab auf dem Wr. Zentralfriedhof. Heute erinnern, außer einer Donaustädter Straße und Schule, noch eine Gedenktafel im 2. Bezirk (Am Tabor) und die Theodor-Kramer-Gesellschaft, durch Neuausgaben seiner Werke, an ihn.

Sein Gesamtwerk umfasst 12000 Gedichte. Thomas Mann nannte ihn „einen der größten Dichter der jüngeren Generation“. Gedichte, geschrieben in der Emigration, erinnern an Menschen in der Heimat – nicht die großen Helden, sondern einfache Menschen mit ihrem „kleinen Widerstand“, wie sein Freund Otto, sein Hausmeister und sein Vater.

ICH BIN FROH, DASS DU SCHON TOT BIST, VATER

Ich bin froh, dass du schon tot bist, Vater
dass du starbst, bevor die Horde kam,
die mich schrubben liess und mir im Prater
am Kastanienblust die Freude nahm. Ich bin froh, dass dich zum Spass kein Bube zerrte je am langen weissen Bart,
dass es nicht verwies dich auf die Stube;
denn viel auszugehn war deine Art.

Schwerer hättest alles du ertragen;
denn im Flecken, abseits von der Bahn,
wo du Arzt warst, wuchs sich mit den Tagen
aus dein Stolz zu leichtem Grössenwahn.
Gute Lungen, die ein ganzes Leben
Waldluft tranken, gehn im Dunst zugrund
besser wards zu leiden mir gegeben,
dem als Knab zerschossen ward der Schlund.

Oft gebeugt schon, doch nicht untertänig,
konnt ich retten mich ins fremde Land;
buschig ist mein Haar wie deins, doch strähnig
schon mit Grau durchsetzt, und taub die Hand.
Doch zu rächen, was dir widerfahren
hätte können, schreibt sie dies und das;
und im Dorf, das ehrte dich nach Jahren,
bringt dir, Vater, einst dein Sohn ein Glas.