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Französisch erlernen? In der Schule?

  • Sonntag, 13. Dezember 2009 @ 08:00
Briefe eines Lehrers
Von Karl Gugler, AHS-Lehrer

Der/Die geneigte Leser/in wird wohl erstaunt sein. Was sollen die Fragezeichen in dieser Überschrift? Fremdsprachen lernt man in der Schule, na klar! Englisch, Französisch, ...! Ein erstes Hoppala könnte einem da eigentlich schon auffallen: Französisch?

Warum nicht Tschechisch, Ungarisch, Slowenisch, Italienisch? Warum nicht die Sprache eines Nachbarlandes? Ja, weil es auf der Welt mehr Gegenden gibt, in denen Französisch gesprochen wird, so wird man belehrt. Aha! Wer auch immer mit dem Erlernen ausgerechnet dieser Sprache in der Schule konfrontiert wurde, wird wissen, um wie viel schwieriger gerade Französisch ist. Sicher, es klingt sympathisch, es ist irgendwie melodiös, auch chic. Und wer‘s kann, der spielt in einer anderen Liga, der muss etwas Besonderes sein. Da sind wir dann schon bei den Begründungen, die der Wahrheit etwas näher sind.

„Qu’est-ce que c’est que cela?“

Kein Scherz! Sich diese Buchstabenfolge zu merken, sie richtig anschreiben zu können, das ist zweifellos die Bundesliga der Fremdsprachler. Da kann nicht jeder mitspielen. Dafür muss man schon geeignet sein. Und da muss man schon verstehen können, warum so mancher Mitmensch dann für nicht geeignet erklärt wird für, ja sogar ausgeschlossen wird von weiterführender „höherer Bildung“, wenn er das nicht kann. Jedenfalls ist es dann erst einmal nix mit einem Maturazeugnis. Dabei ist das, was der Inhalt dieses Satzes ist („Was ist das?“) an Banalität kaum zu überbieten. Glaubt hier wirklich irgendjemand, dass das Erlernen dieses Satzes irgendetwas mit Intelligenz zu tun hat – sofern man in einer französischsprachigen Region aufwächst? Glaubt hier wirklich jemand, dass nicht jedes noch so dumme Kind, das in Frankreich aufwächst, diese Buchstabenfolge richtig zu reihen in der Lage ist? So irr diese Folge auch ist, so dämmert Ihnen doch, liebe/r Leser/in, dass es wohl jedes französische Volksschulkind einmal schaffen wird, früher oder später. Wenn dem so ist, dann leuchtet mir aber nicht mehr ein, warum man in Französisch – oder auch in anderen Fremdsprachen – durchfallen kann, wenn doch erwiesen ist, dass jedes Kind – unabhängig von seinem IQ – diese Sprache/n zu erlernen im Stande ist.

So manch’ vorsichtige/r Leser/in wird jetzt einwenden:

„In der Schule geht es ja nicht nur ums Lernen an sich, sondern auch um Wettbewerb, um Leistung!“ Und ein Lehrerkollege hat mir das ja auch einmal erklärt: „Leistung, das ist Arbeit pro Zeiteinheit!“ DER jedenfalls hat das nicht (nur) physikalisch gemeint. Es geht also darum, sich „Qu’est-ce que c’est que cela?“ in kürzerer Zeit, als die anderen Wettbewerbsteilnehmer/innen zu merken und wiedergeben zu können. Da bleiben dann natürlich einige auf der Strecke. Der Prozentsatz liegt im Ermessen des/der Lehrers/Lehrerin und/oder in den Bedingungen des Wettbewerbs. In der Bundesliga laufen die Wettkämpfer aber wenigstens unter ähnlichen Bedingungen, also mit ähnlicher Ausstattung aufs Feld: Fußballschuhe haben sie alle. In der Schule ist das nicht so: die einen kriegen Stoppelschuhe, für die anderen gibt’s nur noch Halbschuhe und die dritten mögen ihr Glück mit Filzpantoffeln versuchen (übersetzt: schlechte Lehrer/innen, große Lerngruppen, schlechte Materialien und schlechte Didaktik usw.). So neu ist diese Beobachtung für die Beteiligten aber auch wieder nicht. Man muss halt schauen, dass man nicht in den äußerst rechten Bereich der glockenförmigen Notenverteilungskurve kommt, dorthin, wo die Minderleister/innen versammelt sind.

Wie einfach das dann auch möglich ist, wird jeder von Ihnen nachvollziehen können, der schon einmal versucht hat, sich eine Fremdsprache fernab von einer Schule anzueignen. Nach einem maximal einjährigen Einführungskurs in das Wesen (die Syntax, die Grammatik etc.) einer neuen Fremdsprache, fährt man dort hin, wo sie gesprochen wird. Und nach 3, 4 oder 5 Wochen sind der Wortschatz und die Anzahl der Redewendungen, die man beherrscht, rapide gewachsen. Gesprächspartner/innen vor Ort helfen sofort mit einer fehlenden Vokabel aus oder korrigieren nebenbei einen Formfehler. Den Rest übernimmt die selbstempfundene Freude über die neuen Fähigkeiten. Das ist dann ganz anders als in der Schule, wo dir jeder Fehler und jedes fehlende Vokabel als Sünde gegen dein Bestreben, ein positives Jahreszeugnis zu erhalten, angekreidet wird. Und das geschieht in diesen „Bildungsanstalten“ so lange, bis dir jede Lust, jedes Interesse abhanden gekommen ist, also bis feststeht, dass du eben zu dumm für die nächste Schulstufe bist.

Schule im Kapitalismus oder in der bürgerlichen Gesellschaft oder in der freien Marktwirtschaft geht so und nicht anders. Sie erzeugt zwangsläufig jede Menge Verlierer/innen. Das einzig wirklich Dumme daran ist nur, dass die Verlierer/innen und auch die Gewinner/innen das alles auch glauben und für gerechtfertigt halten.

Wer von Ihnen meinen Beitrag in der letzten Kaktus-Nummer gelesen hat, wird sich an Magdalena erinnern. Das ist eine 15jährige Schülerin, die im Vorjahr ausgerechnet in Geografie mit dem Durchfallen bedroht wurde. Ich wollte (und werde) von ihrem Fall genauer berichten, weil man sie im Bereich Gesangsdarbietung, Klavierspiel und allgemeinen musikalischen Fähigkeiten als höchst talentiert erleben kann. PISA wird so etwas nie testen. Diese ihre hochentwickelten Fähigkeiten sind also null wert. Sie hat jetzt seit 3 Monaten Französischunterricht. Und ich höre, ihre Leistungen seien unbrauchbar.

Qu’est-ce que c’est que cela? Was ist das? Arroganz? Ignoranz?

Mit freundlichen Grüßen
Karl GUGLER
schulprobleme@kpoe.at