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Winfried Wolf "Verkehr - Umwelt - Klima"

  • Donnerstag, 7. Februar 2008 @ 12:27
Die Globalisierung des Tempowahns

Ein Mensch legt heute im Jahr mit 12.000 rund doppelt so viele Kilometer zurück wie vor dreißig Jahren. In einem Joghurtbecher stecken heute rund 50 Prozent mehr Transportkilometer als vor zwanzig Jahren. Was früher als tote Kosten bezeichnet wurde, gilt heute als zivilisatorische Errungenschaft. Kilometerfraß gleich Mobilität. Die Verfügbarkeit von Waren aus aller Welt an jedem Ort zu Dumpingpreisen gleich kultureller Fortschritt. Nicht der "Verkehr an sich" wächst. Der Schienenverkehr, der Verkehr mit öffentlichen städtischen Verkehrsmitteln, die Verkehrsarten Gehen und Rad Fahren sind rückläufig. Ein massives Wachstum gibt es im Straßen-, Luft- und Seeverkehr, also bei denjenigen Verkehrs- und Transportformen, die auf Öl und seinen Derivaten (Benzin, Diesel, Kerosin und Bunkeröl) basieren. Es handelt sich um Verkehrsarten, die Umwelt und Klima stark belasten. Die Struktur der globalisierten Ökonomie ist die Grundlage für diese Verkehrsentwicklung: Zwei Drittel des Umsatzes der 100 größten Konzerne entfallen auf Öl, Ölverarbeitung, Autoindustrie und Flugzeugbau.

Das war nicht immer so. Vor 150 Jahren war die Weltwirtschaft von dem Kapital, das im Schienenverkehr und in der Bahntechnik-Industrie angelegt war, bestimmt. Im Zentrum der damaligen Fusionsprozesse und Börsenkrachs standen die Eisenbahnkönige. Winfried Wolf zeichnet die große Geschichte der Eisenbahnen seit ihren Ursprüngen nach. Er beschreibt den Konkurrenzkampf Eisenbahn - Automobil und den folgenschweren Siegeszug von Öl- und Fahrzeugkonzernen. Er sieht in der gegenwärtigen Struktur des Transportsektors die Konkretisierung des modernen Kapitalismus: hinsichtlich der Entfremdung der Individuen und hinsichtlich der Verwirklichung des Prinzips "Privatisierung der Profite und Vergesellschaftung der Verluste". Für ihn stellt der explosionsartige Anstieg der Transporte auf Schiffen und mit Containern, zu dem es in den vergangenen zwei Jahrzehnten kam, den Kern der Globalisierung dar: Erst die stoffliche Verdichtung der Warenströme, der wiederum die enorme Beschleunigung und Verbilligung der Transporte zugrunde liegt, ermöglichte die heute so charakteristische extrem arbeitsteilige Produktionsweise.

Anders als vor zwanzig Jahren, als die Schiene noch als "altes Eisen” und Autos und Flugzeuge für den Fortschritt schlechthin standen, ist in der offiziellen Verkehrspolitik viel von Nachhaltigkeit und von einem "Vorrang Schiene” die Rede. Doch die konkrete Entwicklung der Verkehre verläuft in der entgegengesetzten Richtung: der Autowahn wird verallgemeinert, die Billigfliegerei subventioniert, die Eisenbahnen werden privatisiert und auf Marktnischen verwiesen, die Kapazitäten der Containerhäfen werden verdoppelt.
Winfried Wolf plädiert für eine radikal andere Verkehrspolitik: Die pro Person zurückgelegten Kilometer und die je Ware beinhalteten Transportkilometer können radikal reduziert werden. Allein eine solche Mobilitäts-Utopie ist zukunftsfähig.